Wie die Globalisierung endet
Hinter der bizarren Ballon-Geschichte verbirgt sich ein Wirtschaftskrieg zwischen China und den USA, der sich immer weiter zuspitzt
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die vergangenen drei Jahrzehnte waren wirtschaftlich davon geprägt, dass die westlichen Industrie-Staaten und Japan ihre Produktionen in Schwellenländer vor allem nach China verlagerten. Im Idealfall war das eine Win-Win-Situation. Die Unternehmen, die nun in China produzieren ließen, machten mehr Gewinne. Für die Konsumenten im Westen wurden Produkte billiger. In den Schwellenländern stiegen Löhne und das Bruttosozialprodukt.
Kein anderes Land hat diesen Megatrend besser für sich genutzt als China. Die kommunistische Partei Chinas ist es gewohnt, langfristig zu denken. Man wusste die Zeit auf seiner Seite. 2030 spätestens, so lauteten die Prognosen, würde China die USA als größte Volkswirtschaft abgelöst haben. Anders als die USA mit ihrem aufgeblasenen Finanz- und Servicesektor handelt es sich aber um echte Produktionskapazitäten. Alle weiteren Entwicklungen wie Hegemonie im asiatischen Raum und Ablösung des Dollars als Leitwährung würden sich daraus ergeben.
Es dauerte im Westen einige Jahre, bis man erkannte hatte, dass die Globalisierung auf Dauer die eigene Vormachtstellung untergrub. Die Trump-Administration war die erste, die einen Kurswechsel in der China-Politik einschlug. Mittlerweile ist die Konfrontation mit Peking Konsens und wird von Demokraten weitergeführt. Der Wirtschaftskrieg, von dem der Ballon-Vorfall eher abgelenkt haben dürfte, ist bereits in eine neue Runde eingetreten:
Für einige Mitarbeiter des chinesischen Chip-Herstellers Yangze Memorial begann diese Woche mit schlechten Nachrichten. Die Firma aus Wuhan gab am Wochenende bekannt, die Löhne um fünf bis zehn Prozent zu senken. Außerdem müssten einige Mitarbeiter aus den vergünstigten Firmen-Wohnungen ausziehen. Grund dafür ist das von den USA verhängte Halbleiter-Embargo.
Die USA arbeiten bereits seit Herbst daran, China nach und nach von modernster Technologie abzuschneiden. Eine besondere Rolle spielen dabei Chips. Das „Centre for International Security and Strategy“ (CISS) an der renommierten Tsinghua-Universität in Peking listete kürzlich die zehn größten Risiken 2023 für China auf:
„Die USA werden ideologische Differenzen und Sicherheitsbedenken voll ausnutzen, um ihre Verbündeten davon zu überzeugen oder zu bedrohen, strengere Exportkontrollen für Halbleiter gegen China zu verhängen.“
Jahrelang folgten die USA einer Doktrin, wonach sensible Technologie exportiert werden darf, so lange sicher gestellt ist, dass man stets zwei Generationen voraus ist. Diese Doktrin stellte US-Sicherheitsberater Jack Sullivan im vergangenen September in Frage. Keinen Monat später folgte das, was an vielen Stellen als „digitales Öl-Embargo“ bezeichnet wurde. Joe Biden erließ den „Chips Act“. Der besagt, dass keine US-Technologie mehr bei der Produktion von Halbleitern unter einer Strukturbreite von 14 Nanometer verwendet werden darf”. Das hat zur Folge, dass viele Fabriken in China überhaupt nicht mehr beliefert werden. Amerikanischer Staatsbürger durften nicht mehr für chinesische Chips-Hersteller arbeiten, und mussten das Land verlassen.
Im vergangenen Dezember wurden diese Export-Kontrollen auch auf einige ausländische Unternehmen ausgeweitet, denen es nun nicht mehr erlaubt ist, amerikanisches Equipment nach China zu verkaufen. Insgesamt 36 Unternehmen umfasst die Liste. Im Januar schließlich gelang es Washington, auch die Niederlande und Japan davon zu überzeugen, sich an dem Embargo zu beteiligen. Die Niederlande sind wichtig, weil hier der weltweit größte Anbieter von Lithographiesystemen für die Industrie, ASML, seinen Sitz hat.
Experten schätzen, dass der führende chinesischen Chip-Hersteller, Semiconductor Manufacturing International Corp, derzeit seinen westlichen Konkurrenten rund fünf Jahre hinterherhinkt. China war bisher in der Lage mit Importen 14-Nanometer—Chips herzustellen, und könnte nun auf 45 Nanometer zurückfallen.
Die Sanktionen sollen Chinas Ziel zu unterbinden, in den Bereichen Artificial Intelligence oder Supercomputern führend zu werden, was wiederum die militärische Vorherrschaft der USA in Frage stellen würde. Die Sanktionen ebenso wie die Affäre um den Spionage-Ballon erschweren für Peking die Aussicht auf eine wirtschaftliche Wiederannäherung. Die kommunistische Partei kämpft derzeit mit einigen hausgemachten Problemen: Durch die rigorose Zero-Covid-Politik der vergangenen Jahre ist der Konsum eingebrochen. Zudem bereitet die schwelende Immobilienkrise des Landes noch immer Sorgen.
Während der vermeintliche Spionage-Ballon die diplomatischen Beziehungen zwischen Peking und Washington auf Trab hält, schwinden in Peking zunehmend die Hoffnung auf eine Entspannung im Verhältnis der beiden größten Volkswirtschaften.
Die Tatsache, dass Spionage-Ballons wohl immer wieder gesichtet wurden, es aber dieser Vorfall just vor dem angekündigten Besuch Blinkens in die internationale Presse schaffte, lässt vermuten, dass es eher amerikanische Falken waren, die eine Wiederannäherung verhindern wollten. Jetzt ist die Rede von einem Spionage-Netzwerk, auf das Sanktionen folgen müssen.
Thursday’s disclosure indicates an eagerness by the Biden administration to elevate China’s balloon espionage despite warnings from China’s foreign ministry that doing so could jeopardize bilateral relations
Erst vergangene Woche erhielten die USA von den Philippinen die Zusage, vier weitere Luftwaffen-Basen zu benutzen. Zudem fanden Luftwaffen-Übungen mit Südkorea statt.
Peking reagierte bisher nicht mit Gegen-Sanktionen (dazu gleich mehr), will aber die heimische Halbleiter-Industrie mit einem Paket von 143 Milliarden US-Dollar fördern.
Ähnlich wie die Sanktionen gegen Russland aber hat auch der stille Wirtschaftskrieg einen negativen Effekt auf denjenigen, der die Sanktionen verhängt. Der Grund, weshalb in den vergangenen 30 Jahren so viele Produktionen nach China gingen, war simpel: Es war günstiger und man musste sich an weniger Auflagen halten.
Kippt dieser Trend jetzt und werden “Arbeitsplätze heimgeholt”, ist das inflationär. Produkte werden wieder teurer, höhere Löhne müssen gezahlt werden - zumindest langfristig (mittelfristig, also in den kommenden Monaten dürfte die Inflation eher zurückgehen.)
Nicht nur das: China hat in den vergangenen Jahrzehnten strategisch mitgedacht. Eine “grüne Energiewende” ohne China ist mittlerweile nicht mehr möglich. Mehr dazu im zweiten Teil.
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