Der Chip-Krieg
Die USA haben China von der Versorgung mit modernsten Halbleitern abgeschnitten. Über eine neue Eskalation im Wirtschaftskrieg und steigende Inflation
Ende der 1930er Jahre befand sich das japanische Kaiserreich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Anders als nahezu alle nicht-europäischen Nationen der Zeit hatte sich Japan nicht kolonisieren lassen, sondern war nach der Meiji-Restauration 1868 zu einem mächtigen Gegenspieler westlicher Mächte geworden. Japan hatte als erste nicht-europäische Nation 1904 eine Seeschlacht gegen Russland gewonnen, hatte weite Teile Chinas und Korea annektiert. Eines aber besaß Japan nicht, oder nur unzureichend: Öl. Das Kaiserreich war maßgeblich von Importen aus den USA, damals eines der größten Erdölproduzenten der Welt, abhängig. Die Spannungen mit den USA im Pazifik nahmen zu, aber ein offener Krieg schien aufgrund der Entfernungen unrealistisch.
Die Lage änderte sich dramatisch, als 1940 die USA ein Öl-Embargo gegen Japan verhängten. Die japanische Reichs-Marine kam zu dem Schluss, dass die Vorräte nur zwei Jahre reichen würden, und in dieser Zeit Indonesien besetzt werden müsse, um die dortigen Quellen anzuzapfen. Da dies ohnehin zum Krieg mit den USA führen würde, entschloss man sich zu einem Präventiv-Schlag.
Am 7. Dezember 1941 gegen acht Uhr morgens griffen 353 japanische Flugzeuge die amerikanische Pazifik-Flotte in Pearl Harbor an. Der Pazifik-Krieg hatte begonnen. Er endete im August 1945 nach dem Abwurf von zwei Atombomben mit der bedingungslosen Kapitulation Japans.
Seitdem sind viele Verschwörungstheorien ins Land gezogen, in wie weit Washington von dem bevorstehenden Angriff wusste, oder ihn sogar provozieren wollte, um den Pazifik-Krieg der eigenen Bevölkerung zu vermitteln. An dieser Stelle aber geht es um eine Nachricht, die abgesehen von einigen Wirtschaftspublikationen in den vergangenen Tagen untergegangen ist: Das amerikanische Chip-Embargo gegen die Volksrepublik China.
Vergangener Woche hat die amerikanische Regierung ein Gesetz erlassen, wonach “keine US-Technologie mehr bei der Produktion von Halbleitern unter einer Strukturbreite von 16 Nanometer verwendet werden darf”. Das hat zur Folge, dass viele Fabriken in China überhaupt nicht mehr beliefert werden. Die neuen Gesetze kommen einem Chip-Embargo gleich. Hinzu kommt, dass amerikanische Staatsbürger, die derzeit in China für Halbleiter-Unternehmen tätig sind, quasi über Nacht das Land verlassen müssen.

Ziel der Gesetze ist es, Peking langfristig aus dem Rennen um die kleinsten Chips zu werfen. Die kommunistische Partei Chinas soll von neuester Technologie abgeschnitten werden.
Chips, Halbleiter, werden oft auch als das Erdöl des 21. Jahrhunderts bezeichnet, was nicht ganz treffend ist, da man noch immer Erdöl benötigt, um Chips herzustellen. Tatsache aber ist, dass Halbleiter für die Wirtschaft (und Kriegsführung) heute ähnlich basal sind.
Halbleiter sind nach Rohöl, Kraftfahrzeugen und raffinierten Öl das viert meist gehandelte Produkt der Welt. In jedem modernen Auto stecken rund 1400 Halbleiter, und kein Smartphone kommt ohne sie aus
Die Lieferketten der Halbleiter-Industrie sind höchst komplex. Chris Miller, Autor des Buches “Chip War - The Fight for the World’s Most Critical Technology”, sagt, dass es nur eine Handvoll Menschen weltweit gebe, die die gesamten Lieferketten überblicken.


Halbleiter werden zunächst von Unternehmen wie Nvidia, Qualcomm oder AMD entworfen. Foundries stellen dann basierend aus Silizium mit lithographischen Verfahren hauchdünne “Wafer” her, dazu zählt der Riesenkonzern Taiwan Semiconductor Manifacturing Company (TSMC). TSMC hat bei der Produktion einen Marktanteil von über 50 Prozent weltweit. An zweiter Stelle kommt Samsung aus Südkorea mit 17 Prozent. Anschließend müssen die Wafer getestet und auf Schaltflächen montiert werden, bevor sie in die Massenproduktion gehen. Jeder dieser Arbeitsschritte erfordert eine enorme Spezialisierung der beteiligten Unternehmen.
Nirgendwo zeigt sich die Komplexität globaler Lieferketten so deutlich wie bei Halbleitern. Als es im Zuge der chinesischen Lockdowns 2021 zu Störungen kam, verzögerte sich die Auslieferung zahlreicher Produkte weltweit - von Autos bis zur Playstation 5.
Halbleiter werden immer kleiner. Das ist Moore’s Law, zurückgehend auf Gordon Moore, der diesen Prozess 1961 formulierte: Etwa alle 20 Monate verdoppelt sich die Komplexität eines Schaltkreises. Dies ist allerdings kein Naturgesetz, sondern eine Art Faustregel basierend auf empirischen Beobachtungen.
TSMC hat angekündigt, noch Ende dieses Jahres in Größe von drei Nanometer produzieren zu können. Im iPhone 14 stecken derzeit Chips basierend auf 6nm-Prozessen. Kurzum: Je kleiner die Halbleiter, desto ausgefeilter das Produkt. Ohne eine konstante Verbesserung der Chip-Technologie keine anhaltende digitale Revolution.
Chips der neuesten Generation zum Beispiel finden Einsatz in der Technologie, die Peking für seinen Überwachungsapparat dringend benötigt, aber ebenso in Waffensystem, die auf künstlicher Intelligenz basieren.


Today the US government levied new export regulations and restrictions against China that amount to a full-scale bilateral economic cold war.
The summary is that the US is forcefully decoupling the entire advanced technology supply chain before China insources it.
China ist derzeit ohne fremde Hilfe in der Lage, Halbleiter in der Größe von 90 Nanometern selbst herzustellen. Das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin geht davon aus, dass es Peking nicht vor 2024 gelingen wird, 40Nm-Chips autark zu produzieren. Auch rein technisch schafft es der leistungsfähigste Produzent aus China, SMIC, mit entsprechenden Vorlagen und Importen sieben Nanometer zu produzieren.
In den chinesischen Medien findet die Nachricht bisher relativ wenig Nachhall. Grund dafür ist sicherlich der 20. Parteitag, der gerade stattfindet und in chinesischen Medien abgefeiert wird. Die Global Times, eine Art Sprachrohr der KPCh, weist lediglich daraufhin, dass das neue Gesetz amerikanischen Firmen Jobs und Gewinne kosten werde.
Das Wirtschaftsmagazin Caixin aber berichtet in seiner aktuellen Titel-Story, dass vor allem der Abzug von wichtigen Mitarbeitern die chinesische Halbleiter-Industrie hart treffe.
Many Chinese Americans with U.S. citizenship hold key technical positions at Chinese chip companies, an executive at a chip design enterprise told Caixin. Some key technical experts at ChangXin, Advanced Micro-Fabrication Equipment Inc. and Semiconductor Manufacturing International Corp. (SMIC) may have to leave, the executive said...
Die USA also sitzen, was Halbleiter betrifft, am längeren Hebel, und China ist derzeit weit abgeschlagen. Die Sanktionen dienen dazu, diesen Abstand nicht kleiner werden zu lassen. Peking aber hält seinerseits einen anderen Trumpf in der Hand: Es verfügt über die nötigen Rohstoffe, den “Seltenen Erden”, die zur Produktion von Smartphones, aber auch Halbleitern benötigt werden. Zudem sind die Kobalt-Minen im Kongo mittlerweile in chinesischer Hand. Xi Jinping könnte sich also mit einem Embargo für seltene Erden und Metalle revanchieren.


Geschichte wiederholt sich nicht. Es hilft aber, die aktuellen Entwicklungen rund um Taiwan unter diesen Aspekten zu lesen. Wie auch der Ukraine-Konflikt hat der Kampf um Taiwan eine wirtschaftliche Komponente. Und nach den Chip-Gesetzen Bidens sind die Zeichen hier ebenfalls auf Eskalation gesetzt. Im schlimmsten Fall führt dies zu Krieg, im günstigsten Fall zu mehr Inflation. Produktionen werden in die USA oder alliierte Staaten zurückverlagert, wo die Kosten aber höher sind.


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Super Beitrag.
Damit steigt das Risiko einer militärischen “Anektion” von Taiwan an China weiter, richtig?
Wären die USA gewillt bzw im Stande hier einzuschreiten?
Toll! Danke!