Tether ex machina
Wie aus dem obskuren Stablecoin-Anbieter einer der größten Gläubiger der US-Regierung wurde.
Kaiser: Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff es denn,
Mephisto: Ich schaffe, was ihr wollt, und schaffe mehr;
Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer;
Es liegt schon da, doch um es zu erlangen, das ist die Kunst.
(Goethe: Faust II)
Liebe Abonnenten,
die meisten Medien sind nach wie vor damit beschäftigt, wie sie Trump am eindrücklichsten Wahnsinn unterstellen können. Sie vergessen dabei, worum es eigentlich geht: Ein Drittel aller amerikanischen Staatsschulden müssen dieses Jahr refinanziert werden. Sonst ist das mächtigste Land der Welt demnächst Pleite. Dafür müssen die Doppel-Defizite ausgeglichen, oder zumindest gesenkt werden. Und vor allem müssen die Zinsen runter. Die amerikanische Zentralbank wird den Wünschen der Regierung bald nachkommen, sprich die Zinsen senken und über ein neues Quantitative-Easing-Programm die Geldmenge erhöhen. Ein paar Jahre später werden die Effekte im Alltag über Inflation sichtbar.
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass wir bald Zeuge eines raffinierten Geld-Recycling-Programms werden. Wir treffen dabei auf einen alten Bekannten, den Stablecoin-Anbieter Tether. Der Essay ist keine leichte Kost, aber wer dabei bleibt, gelangt tief in die wundersame Welt der Geldvermehrung.
Mitte März wagt Paolo Ardoino den Schritt. Der Tether-CEO fliegt von der Hauptstadt El Salvadors nach New York. Es ist die erste Reise in die USA des erst 41-Jährigen seit Jahren. Zu hoch war bisher das Risiko gewesen, dort von den Behörden festgenommen zu werden. Vier Jahre zuvor war das Milliarden-Unternehmen, das er leitet, noch einmal davon gekommen: 2021 war Tether von der amerikanischen Börsenaufsicht mit einer Strafe von 41 Millionen US-Dollar belegt wegen ungenauer Angaben zu seinen Reserven. Man hatte sich schließlich auf einen Vergleich in Höhe von 18 Millionen Dollar geeinigt. Ein Witz, hatten Kritiker des Unternehmens entgegnet. Schließlich, so die Vorwürfe, ging es um Milliarden-Betrug. Seitdem hatten die Tether-Bosse die Vereinigten Staaten aus Vorsicht gemieden. Man war mal in Hongkong, auf den Bahamas und den Bermuda-Inseln, bis man sich Anfang des Jahres offiziell im Bitcoin-freundlichen El Salvador niedergelassen hatte. Doch mit der neuen US-Administration ist alles anders.
Nach New York geladen hat die Firma Cantor Fitzgerald. Thema des Gesprächs: Die Schaffung eines exklusiven Stablecoins für den amerikanischen Markt. Cantor Fitzgerald ist nicht irgendeine Bank oder Unternehmen. Das 1945 gegründete Investmenthaus ist einer von 24 Primärhändlern, die von der Federal Reserve Bank of New York autorisiert sind, US-Staatsanleihen zu handeln. Damit spielen sie eine zentrale Rolle im Finanzsystem der USA, da sie die Liquidität und Effizienz des Marktes für Staatsanleihen sicherstellen, dem wichtigsten und liquidisten Markt der Welt.
Langjähriger CEO von Cantor Fitzgerald war Howard Lutnick, ein Milliardär und seit Jahren enger Vertrauter der Trump-Familie. Da Lutnick mittlerweile US-Handelsminister ist, dürfte Ardoino nicht nur das Ok von ganz oben bekommen haben, in die Vereinigten Staaten einreisen zu dürfen. Man wird ihm wohl auch einen roten Teppich ausgerollt haben. Der Grund:
Die USA haben aktuell ein Problem mit ihrer Verschuldung. (BlingBling hat das in den Essays Die nächsten 90 Tage und Der Mar-a-Largo-Accord beschrieben). Rund ein Drittel des gesamten Schuldenbergs der USA müssen dieses Jahr refinanziert werden. Dafür müssen die Zinsen runter. Deswegen will Trump unbedingt das Handelsdefizit ausgleichen. Deswegen wird über die Neubewertung der Goldreserven nachgedacht. Und deswegen wird vermutlich bald eine neue Liquiditätswelle die Kurse von Bitcoin und Co auf neue Höchststände treiben. Denn bisher haben Staaten in solchen Phasen immer auf Geldentwertung gesetzt, um sich aus der Schuldenfalle zu befreien. Anders als Privatpersonen und viele kleinere Staaten können die USA immerhin die Währung selbst drucken, in der sie verschuldet sind. Die amerikanische Staatsverschuldung ist das Endgame. Und im Endgame spielt Tether mittlerweile eine ziemlich wichtige Rolle. Der Stablecoin-Anbieter hält mit 113 Milliarden aktuell mehr US-Staatsanleihen als Deutschland. Tendenz steigend: Ende 2024 war Tether mit 31 Milliarden der siebtgrößte Käufer von amerikanischen Staatsschulden.
Wie kann ein obskures Unternehmen, mit nicht einmal 100 Mitarbeitern, im vergangenen Jahr 13 Milliarden Dollar Gewinn machen, und zu einem der wichtigsten Kunden des amerikanischen Staats werden?
Hinter der Paywall: Die Geschichte eines der größten Geld-Recyclingprozesse der Welt.
Stablecoins sind blockchainbasierte Währungen, die aber anders als Bitcoin oder Ethereum nicht im Wert schwanken. Sie sind an eine Fiat-Währung, gewöhnlich an den US-Dollar gekoppelt. Man kann sich das wie ein Spiegelbild auf der Blockchain vorstellen. Wann immer jemand Tether einen Dollar bezahlt, wird auf der Blockchain ein Stablecoin geprägt - USDT ist das Kürzel für einen Tether-Dollar. Stablecoins haben anders als viele Kryptowährungen einen Nutzen. Krypto-Börsen haben keine Banklizenz, das heißt, sie dürfen keine US-Dollar oder Euro verwahren. Dazu zählt zum Beispiel auch Binance, eine der größten Krypto-Börsen der Welt. Stablecoins füllen diese Lücke. Das macht sie besonders für Trader interessant, die schnell große Summen investieren oder über Nacht parken wollen. Auch in Schwellenländern mit hoher Inflation, in denen eine Dollar-Knappheit herrscht, sind die blockchain-basierten Spiegelbilder von Fiat-Währungen attraktiv.
Der Stablecoin-Markt ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen, in erster Linie, weil die Handelsaktivitäten um Bitcoin und Co so zugenommen haben - und weil die Kurse so stark gestiegen sind. Wir sprechen aktuell über eine Marktkapitalisierung von 235 Milliarden US-Dollar, von denen das Unternehmen Tether 145 Milliarden ausmacht.
Lange hat Kritiker, auch BlingBling, die Frage nach der Solvenz von Tether beschäftigt. Könnte es sein, dass Tether mehr Stablecoins ausgegeben hat, als es an US-Dollar eingenommen hat und so die Kurse künstlich nach oben drückt? Vermutlich war dies in den früheren Jahren so. Mit der Einführung der ETFs auf Bitcoin aber hat sich dieser Effekt mindestens marginalisiert.
Bleibt die Frage: Was macht Tether mit den 145 Milliarden? Das ist die Summe, die das Unternehmen von Kunden bekommen hat, um darauf 145 Milliarden Tether-Coins zu prägen. Seit kurzem scheint das Unternehmen auf eine Idee gekommen zu sein, die Tether nicht nur adelt, sondern eigentlich auf wundersame Weise mit dem US-Finanzsystem verzahnt:
Cantor Fitzgerald verwaltet seit 2021, damals unter Lutnicks Führung, einen Großteil der Tether-Reserven, und kassierte dafür eine Verwaltungsgebühr von mehreren Milliarden Dollar im Jahr. Lutnick hat dafür wiederholt betont, Tether habe die Reserven.
Tether hatte sich zudem kürzlich kooperativ gezeigt und mit den amerikanischen Behörden eng zusammengearbeitet, als es darum ging, die Geschäfte der russischen Kryptobank Garantex zu unterbinden. Der Bank war der Vorwurf der Finanzierung von Terrorismus gemacht worden. Tether spielte eine Schlüsselrolle, indem es 28 Millionen US-Dollar in USDT blockierte, unterstützt durch eine internationale Operation unter Führung des US Secret Service. Seit vergangenen Jahr arbeitet Tether auch mit dem Unternehmen Chainalysis zusammen, welches für US-Geheimdienste Blockchain-Aktivitäten analysiert. Das mag dem Freiheitsethos der Bitcoin-Bewegung widersprechen, bringt das Unternehmen aber ein Stück näher in Richtung Rehabilitierung.
QE und Tether
Tether-CEO Ardoio zeigt sich aktuell also kooperativ mit der US-Regierung. Und es ist anzunehmen, dass US-Handelsminister Howard Lutnick auf eine Win-Win-Situation hin arbeitet. Derzeit drohen ausländische Käufer von Staatsanleihen, insbesondere China und Japan, auszufallen. Das treibt die Zinsen nach oben. Neue Käufer von US-Treasuries sind also höchst willkommen. Und warum sollte Tether nicht noch mehr Geld von Tradern auf der ganzen Welt einsammeln und es in amerikanische Schuldverschreibungen stecken? Alles, was es dafür braucht, sind steigende Bitcoin-Kurse. Man kann dieses Szenario noch etwas weiterdenken - ein Gedankenexperiment:
Der nicht so cryptofreundliche FED-Chef, Jerome Powell, hat das QT-Programm bereits auf ein Minimum zurückgefahren, und sollten die Finanzmärkte noch etwas mehr ächzen, dürfte ein neues Quantitative-Easing-Programm gestartet werden. Einfach gesagt: Die Zentralbank bringt Geld in den Markt. Das erlebten die Börsen und Immobilienmärkte zwischen 2009 und 2022.
Doch wie funktioniert QE genau? Die Zentralbank kauft Staatsanleihen von Primärhändlern wie Cantor Fitzgerald auf, um damit deren Zinsen zu drücken. So kann sich die Regierung günstiger verschulden. Sie darf das allerdings nicht direkt bei der Regierung tun, sonst wäre die Staatsfinanzierung zu offensichtlich. Die Staatsanleihen, so sieht es das Gesetz vor, dürfen nur auf dem Sekundärmarkt erworben werden. Sprich: Es muss ein Umweg über Primärhändler wie Cantor Fitzgerald genommen werden. Das Geld geben die Primärhändler weiter an den Wirtschaftskreislauf, was die Konjunktur belegt, aber vor allem Assetpreise in die Höhe schießen lässt.
Was wäre, wenn Tether selbst Primärhändler werden würde?

Wir fragen Grok: „Beschreibe ein Szenario, in dem Tether Primärhändler ist. Wie würde sich das auf den Bitcoin-Markt auswirken?“
Quantitative Easing (QE) und Tether: In einem QE-Programm würde die Fed Staatsanleihen von Tether Limited kaufen, was Tether mit frischer Liquidität (in Dollar oder USDT) versorgt. Tether könnte diese Liquidität in den Kryptomarkt leiten, etwa durch die Ausgabe neuer USDT…
(…)
Nehmen wir an, die Federal Reserve startet 2025 ein neues QE-Programm und kauft 10 Milliarden $ an Staatsanleihen von Tether Limited. Tether erhält 10 Milliarden $ in Liquidität und prägt entsprechend 10 Milliarden USDT, die auf Bitfinex und anderen Börsen verteilt werden. Trader nutzen diese USDT, um Bitcoin zu kaufen, was den Preis von z. B. 80.000 $ auf 100.000 $ treibt. Der Markt erlebt einen Boom, institutionelle Investoren steigen ein, und Bitcoin erreicht neue Höchststände.
Tether würde quasi eine Bank werden - nicht irgendeine, sondern die größte und einzige Crypto-Bank der Welt - mit direktem Draht zur amerikanischen Zentralbank. Und Tether-Kunden würden indirekt Käufer von amerikanischen Staatsschulden werden, und gleichzeitig den Bitcoin-Kurs in die Höhe treiben. Geniales Recycling oder Scam auf Regierungsebene?
Tether als Primärhändler der FED klingt aktuell nach einem Extremszenario. So weit muss es aber auch gar nicht kommen. Deutlich aber ist die Richtung: Stablecoin-Anbieter, auch Circle, Ethena und andere, werden für die US-Regierung als Käufer von Staatsanleihen interessant. In einem geopolitischen Umfeld, in dem alte Kunden wie China wegbrechen, sind diese ein interessanter Ersatz.
Like, wenn Du QE magst.
Innerhalb der EU setzt man übrigens weiter auf die Totgeburt CBDC…
Wie mir durch unlängst erst gemachte Cryptoverkäufe gewahr wurde, werden seit 31.3.25 zumindest auf Binance und Kraken keine USDT mehr gehandelt, bzw. das Pairing BTC(etc.)/USDT ist für Europäische Kunden nicht mehr verfügbar. Kannst du diese Kuriosität wohl gedanklich noch in dein heutiges super interessantes Topic einbauen? Denn das hängt ja doch sicher mit dem zusammen, was gerade im Hintergund zusammengebraut wird, oder? Herzliche Grüße aus Costa Rica