"Wir leben von der Substanz"
Deutschlands aktuelle Energiepolitik führt langsam zur Deindustrialisierung des Landes, meint Professor Hasan Alkas. Ein Interview über Energie, Krieg und die wirtschaftlichen Folgen
Dr. Hasan Alkas ist Professor für Mikroökonomie mit dem Schwerpunkt internationale Märkte an der Rhein-Waal in Kleve. Er twittert unermüdlich über die Energie-Krise, den Ukraine-Krieg, den Zustand der deutschen Wirtschaft, erneuerbare Energien und manchmal auch über die Türkei - und bleibt dabei stets sachlich und sanft im Ton. Zeit für ein Gespräch mit BlingBling!
Herr Alkas, Nach der Sprengung von Nordstream 1 kommt kein russisches Gas mehr nach Deutschland. Wie lässt sich die Energie-Versorgung langfristig ersetzen?
Ich vermute, dass wir mittel- bis langfristig wieder Energie aus Russland kaufen werden. Natürlich spielen Werte eine große Rolle, aber in einer Marktwirtschaft geht es auf lange Sicht um günstige Preise und gute Geschäftsbeziehungen. Ob man sich immer so eine Werteorientierung leisten kann, ist fraglich.
Bis dahin wird man versuchen mit LNG, also Flüssiggas, das Gas aus Russland zu ersetzen. Dabei gibt es aber viele Probleme: Der Transport ist teuer und umweltschädlich, es gibt zu wenige Tanker und Terminals. Allein die Transportkosten haben sich um 2800 Prozent erhöht. Gas und Elektrizität sind netzwerkgebundene Dienstleistungen, die man nicht einfach mit Tankern befördern kann.
Die Türkei wurde da auch schon ins Spiel gebracht, dort als Hub zu fungieren. Das wäre schön für die Türkei, aber warum sollte die EU einen Zwischenhändler nutzen? Diese Politik ist derzeit ideologiegetrieben und diese Verblendung ist nicht gut für die deutsche Wirtschaft.
Ein Ölpreis-Cap aber wird sicherlich nicht funktionieren. Russland kann 80 bis 90 Prozent mit eigenen Tankern transportieren. Für die spielen auch Energiekosten keine Rolle. Schon vor dem Ukraine-Krieg war die deutsche Energie-Abhängigkeit den Amerikanern ein Dorn im Auge.
Es gibt also einen sekundären Gewinn für die USA, die deutsche Exportwirtschaft zu schwächen?
Es gibt ja diesen Spruch von Kissinger „Deutschland ist zu groß für Europa und zu klein für die Welt“. Mittelmächte wie auch die Türkei oder der Iran es sind, werden immer kritisch gesehen, weil sie sich politisch und wirtschaftlich zu einer Macht entwickeln können. Dass jetzt Deutschland mehr importiert, als es exportiert, ist sehr bitter. Wenn sich jetzt das ehemalige Alleinstellungsmerkmal, „Made in Germany“ in Form von Autos und Maschinen verliert, indem wir weniger exportieren und mehr importieren, läuft das am Ende auf eine Deindustrialisierung hinaus. Derzeit funktioniert das noch alles halbwegs, weil man in den Zeiten des billigen Geldes keine Ausgaben-Disziplin hatte. Das ändert sich jetzt.
Angenommen, Russland fällt auch langfristig als Energie-Lieferant für Deutschland aus - was würde das bedeuten?
Dabei muss man auch über die Energiewende sprechen. Die Preise für Energie waren ja schon vor der Ukraine-Invasion gestiegen. Durch die Energiewende haben wir viel Zufallsenergie wie Wind und Sonne. Um die Flauten auszugleichen, brauchen wir andere Energieträger. Es geht nur in der Kombination. Sinnvoll wäre es jetzt, nicht nur, die Atomkraftwerke nicht abzuschalten, sondern neue zu bauen. Die ganze Welt bewegt sich gerade in diese Richtung. Auch dabei ist man von autoritären Systemen abhängig: Das Uran kommt aus Russland, China und Kasachstan. Was ich sagen möchte: In einer globalisierten Welt kann man sich das nicht alles aussuchen. Am Ende geht es immer um die Unternehmer-Frage: Wo kriege ich günstig Energie her? Und die Subventionen, die seit Jahren in regenerative Energien fließen, sind nicht dauerhaft zu betreiben. Wenn man dauerhaft auf staatliche Unterstützung angewiesen ist, so ist das Marktversagen. Die gesamte Energie-Wende müsste man heute einmal komplett überdenken.
Es gibt ja viele Stimmen, den Konflikt mit Russland zu nutzen, um die Energiewende voranzutreiben. Kann das gehen?
In Deutschland glaubt man: Je mehr Erneuerbare, desto besser. So ist es aber nicht. Wir brauchen die Grundlast-Energieträger - wenn Gas aus Russland wegfällt, Kohle zu dreckig ist, bleibt nur Atomkraft. Die Gefahr von Blackouts wächst sonst. Ich bin zum Teil in der Türkei aufgewachsen, Blackouts waren damals häufig, aber die Leute waren daran gewohnt. In Deutschland ist das anders. Hier kriegen die Leute Panik und Chaos bricht aus. Gefährlich finde ich, wenn das der deutschen Bevölkerung nicht vermittelt wird. Aber von einer aufgeklärten, kritikfähigen Gesellschaft ist derzeit ohnehin wenig zu sehen. Wer abweicht, wird rechts oder als Querdenker abgestempelt. Diesen Dogmatismus sehe ich auch bei der Energiewende.
Quasi-Kultische Verhaltensweise finden immer öfter Eingang in rationale Debatten. Ähnliches sagte auch hier Axel Bojanowski im Interview über die Klima-Debatte.
Es gibt einen Verblendungs- und Einvernehmungszwang. Viele meinen, nicht das naheliegende, sondern das moralische Problem lösen zu wollen. Auch bei Unternehmen sieht man das: Während man im angelsächsischen Bereich einfach eher erst losprobiert und später Regularien entwickelt werden, läuft es hier genau andersherum, und dann wundert man sich, dass es kaum erfolgreiche deutsche Startups gibt.
Politiker müssten dagegen steuern, aber schauen Sie sich die Politiker an: Es fehlt an erfahrenen, besonnenen Menschen. Stattdessen gibt es immer mehr junge, talkshow-kompatible Menschen, die seit sie 14 sind, Karriere in einer Partei gemacht haben. Jeder Mensch umgibt sich in einer Hierarchie tendenziell mit Menschen, die dümmer sind als er selbst und ihn anfeuern. So kaskadiert das Problem. Wir leben derzeit von der mentalen und materiellen Substanz deutscher Vorfahren.
Gerade erst kam die Meldung, dass BASF seine Produktion aus Deutschland auslagern will. Ist das ein Trend?
Europa hat sich sehr gefreut, dass man 15 Prozent Energie gespart hat. Aber das war keine Sparsamkeit, sondern Nötigung zum Verzicht. Sparen bedeutet, einen gewissen Level mit weniger Input zu halten. Was jetzt passiert, ist eine Nötigung zum geringeren Verbrauch. Das wird dazu führen, dass Unternehmen wegziehen.
BASF gibt es dann immer noch, aber das ist dann BASF China. Leider trifft es nicht nur Großkonzerne, sondern auch viele mittelständige Betriebe. Dieses Ökosystem aus kleinen Betrieben aber hat Deutschland bisher einzigartig gemacht. Insgesamt bin ich sehr skeptisch, was die deutsche Industrienation angeht. Eine solche Wirtschaft ist immer energieintensiv. Und wenn der Gaspreis sich verdoppelt oder verdreifacht, wird das viel zerstören. Aber genau das ist ja auch von manchen Teilen der Gesellschaft gewollt. Die Klima-Ideologie baut auf Verzicht und Deindustrialisierung. Das ist zwar nur eine Minderheit, aber aus irgendwelchen Gründen kann sich die Mehrheit kaum behaupten.
Es gibt auch in der Mehrheit einen mal mehr mal weniger diffusen Wunsch nach Verzicht und Konsumeinschränkungen. Nur scheint vielen nicht so klar zu sein, was das genau bedeutet.
In Deutschland glaubt man oft, man müsste eine Vorreiterrolle einnehmen. In Entwicklungsländern sieht man das aber anders. Nehmen Sie Beispiel Elektrofahrzeuge: In Deutschland verabschiedet man sich vom Verbrennungsmotor, aber der Ölverbrauch in Entwicklungsländern nimmt nicht ab, sondern zu. Das führt zu nix. Das kann nur funktionieren, wenn man noch die Kraft hat, diese Länder zu beeinflussen. Aber diese Kraft sehe ich nicht mehr, und erst Recht nicht hinsichtlich Konsumverzicht.
Sie meinen, rein aus spieltheoretischer Sicht kann das nicht funktionieren?
Nein, weil es für diese Länder noch günstiger wird, Energie zu verbrauchen.
Was glauben Sie, wird in den kommenden Jahren auf den Euro zu kommen? Kann die Gemeinschaftswährung überleben?
Mit einem 7-tägigen kostenlosen Probeabonnement weiterlesen
Abonnieren Sie BlingBling, um diesen Post weiterzulesen und Sie erhalten 7 Tage kostenlosen Zugang zum gesamten Post-Archiv.