Hitler auf dem Beifahrersitz
Kapitalismus abschaffen, Ökosozialismus einführen? Anmerkungen zu einer zunehmend moralisierten Energie- und Klimadebatte
Liebe Abonnenten,
bei der Recherche zu diesem Artikel stieß ich auf dieses amerikanische Propaganda-Poster aus dem Jahr 1943. Die Erkenntnis, dass sich in der Geschichte alle Ereignisse zwar nicht wiederholen, aber sich oft auf groteske Art und Weise reimen, ist nicht neu. Und doch hinterlässt es mich staunend, wie selbst Konzepte wie Car Sharing und Energiesparen moralisiert werden, sobald die Zeichen auf Konflikt, Ressourcen-Knappheit und Kriegswirtschaft stehen.
Ich habe bisher gezögert, mir den Bestseller „Das Ende vom Kapitalismus - Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind und wie wir in Zukunft leben werden“ von Ulrike Herrmann zu kaufen. Mit Titel, Duktus und Zielgruppe kann ich nichts anfangen. Trotzdem stelle ich fest, wie die Themen Degrowth und Depopulation im öffentlichen Diskurs präsenter werden.
Insofern habe ich mich sehr darüber gefreut, dass Daniel Stelter die Autorin in seinem Podcast „Beyond the Obvious“ zu Gast hatte. Ich kann den Podcast (wie fast alle Folgen von und mit Daniel Stelter) sehr empfehlen, weil er Herrmanns Thesen gut zusammenfasst (und kontert). Manches davon dürfte bei BlingBling-Lesern auf fruchtbarem Boden fallen.
Hier in Kürze Herrmanns Thesen:
Herrmann stellt fest, dass der schuldenbasierte Kapitalismus stets wachsen muss. Nicht nur, dass Zinsen erwirtschaftet werden müssen, auch die Kreditvergabe selbst findet nur statt, weil der Kreditnehmer davon ausgeht, das geliehene Geld mit Gewinn zurückzahlen zu können. Also: Kein Kapitalismus ohne Wachstum
Der Kapitalismus braucht Energie, um zu wachsen. Nur so kann tatsächlich mehr erwirtschaftet werden. Der Aufschwung der vergangenen 200 Jahre war möglich, weil die Menschheit sich zuerst Kohle, dann Öl und schließlich Atomenergie zugänglich machte.
Da Herrmann der Meinung ist, die gesamte Welt müsse bis 2050 klimaneutral sein, müssen wir die Nutzung von fossilen Energie-Trägern beenden und auf regenerative Quellen umsteigen. Und nun kommt der meiner Meinung nach interessanteste Punkt:
Die regenerativen Energien werden nicht ausreichen, um die Wirtschaft weiter wachsen zu lassen. In der Folge muss es zum berüchtigten „Degrowth“ kommen, also einem Schrumpfen der Wirtschaft . Herrmann glaubt nicht, dass es zu einem grünen Wachstumsschub kommen wird. Es geht explizit um Schrumpfung.
Diesen gewaltigen Umbau könne nicht der Markt regeln, so die Autorin. Sie schlägt deswegen vor, den Kapitalismus abzuschaffen und sich am Beispiel der britischen Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg zu orientieren, einer Art Kommando-Wirtschaft basierend auf gesellschaftlichen Konsens. „Öko-Sozialismus“ könnte man auch sagen.
Spätestens bei Punkt 5 dürften die meisten freiheitlich gesinnten Leser dieses Newsletter aussteigen. Aber dawai, dawai: Denn interessant sind Herrmanns Thesen vor allem dort, wo sie auf andere Strömungen treffen.
Das Geraune von der Neuen Weltordnung und Öko-Diktatur gibt es sowohl bei WEF-Kritikern als auch bei Impfpflicht-Gegnern, die nach dem digitalen Impfpass einen CO2-Pass mit Bezugsscheinen vermuten. Dies ist nicht so abwegig, wie manche vermuten: Denn wenn kein Wachstum mehr möglich ist, muss das Vorhandene verteilt werden. Da diese Verteilung der Markt nicht regeln kann, übernimmt das der Staat mit Zwang. So sieht das zumindest Herrmann.
Dass der schuldenbasierte Kapitalismus im Endgame steckt, und eine Reform des Geldsystems nur noch eine Frage von Zeit ist, unterschreiben die meisten Bitcoiner. Es gibt zu viele Ansprüche auf zu wenige Materialien. Bisher wird das aber nur mit zunehmender Geschwindigkeit in die Zukunft verlagert. Sprich: die Schulden wachsen schneller als die Produktivität, und dieses Missverhältnis muss irgendwann aufgelöst werden. Bitcoin (maybe) fixes this…
Nicht ganz so viel wird zumindest hierzulande über Punkt 4 gesprochen: Der Tatsache, dass zumindest aktuell die Ressourcen für eine Energiewende nicht ausreichen.
Es geht um die Frage: Woher kommen die Materialien, die für die Herstellung von Solarzellen und Windrädern benötigt werden? Kenner des Minen- und Energie-Sektors warnen seit langem vor einer zunehmenden Verknappung des Angebots. Denn Rohstoff-Mengen, die für „grüne Technologien“ und eine echte Energiewende benötigt werden, sind nicht nur gigantisch - sie sind schlicht unrealistisch.
Davon abgesehen ist der Abbau der Metalle, insbesondere von Seltenen Erden, umweltschädlich, weswegen wir ihn in den vergangenen Jahren nach China und andere Staaten ausgelagert haben.
Dies wiederum beißt sich mit geopolitischen Zielen und Entwicklungen. Wenn die USA oder Europa sich unabhängiger vom Systemkonkurrenten China machen wollen (von Russland einmal ganz zu schweigen), müssen die entsprechenden Materialien in befreundeten Staaten oder gleich zu Hause abgebaut werden. Das bedeutet: Sie werden teurer.
Und es gibt noch einen weiteren Punkt, über den sehr wenig, zu wenig, gesprochen wird. Das betrifft den sogenannten „Energy Returned on Energy Invested“ (ERoEI) (auf Deutsch auch “Erntefaktor” genannt). Dabei geht es um die Frage, wie viel Energie muss ich einsetzen, um Energie zu ernten? Man kann die Geschichte der vergangenen 200 Jahre so lesen, als sei diese Kennzahl explodiert und flache nun ab. Musste eine Person früher tagelang Holz sammeln, um es im Winter warm zu haben, stecken in einem Barrel Öl die Energie von 25000 menschlichen Arbeitsstunden. An das Öl knapp unter der Erdoberfläche kam man anfangs sehr leicht heran. Dieser einfache Zugang zu dichter Energie ermöglichte dann den historisch beispiellosen Aufschwung in Form von Lebenserwartung und Lebensqualität.
Mittlerweile aber muss man immer tiefer, oder horizontal (Fracking), bohren. Das bedeutet auch, dass der Abbau von Öl schwieriger geworden ist. Anders gesagt: Wir müssen heute mehr Energie aufwenden als vor 100 Jahren, um an die selbe Menge Öl/Energie zu kommen. Der ERoEI sinkt.
Es geht also um die Frage: Wieviel (oft fossile) Energie muss ich aufwenden, um eine Solarzelle zu bauen und wieviel Energie liefert sie dann? Man könnte der Antwort näher kommen, indem man nach dem Preis einer Solarzelle oder Windrads und den Produktionskosten fragt. Sobald sich die Kosten amortisiert haben, ist der ERoEI positiv. Oder?
Beim Durchdenken dieser Frage stößt man auf ein Problem, das Bitcoiner bekannt vorkommen könnte: Wie genau, mit welcher Währung, messe ich das? Energie aus Kohle ist zum Beispiel in China stark subventioniert, und damit werden rund 80 Prozent der Solarzellen weltweit hergestellt. Das heißt, ihr Weltmarktpreis ist eigentlich verfälscht. Würden sie in Deutschland hergestellt, wären sie viel teurer. Zudem amortisiert sich eine Solarzelle in Algerien, wo ständig die Sonne scheint, schneller als auf einem deutschen Dach, wo die Sonne einfach nicht so oft scheint.
In anderen Ländern wiederum ist der Verkaufspreis von Strom subventioniert. Der Kurs des chinesischen Yuan ist außerdem manipuliert, und einen Wert-Anker haben auch andere Fiat-Währungen seit 1971 nicht mehr.
Es wird also sehr schwer, den ERoEI zu berechnen, weswegen es leider zu diesem Thema nur wenige Studien dazu gibt. Und es steht eine ketzerische Frage im Raum: Was, wenn der ERoEI von regenerativen Energieformen negativ ist?
Ja, Sonne und Wind sind unbegrenzt, was aber wenn wir mehr Energie zu Herstellung von Windrädern und Solarzellen aufwenden, als diese abwerfen? Die Beschäftigung mit dieser Frage führt in ein leider nicht allzu erfreuliches Rabbit Hole.
Ob der Erntefaktor von Solar- und Windenergie negativ ist oder nicht - relativ unstrittig ist allerdings, dass der Wert in den kommenden Jahren sinkt, wir also mehr Energie aufwenden müssen, um an Energie zu kommen.
Atomenergie könnte eine Lösung sein, aber hier wenden manche Kritiker ein, dass der ERoEI viel niedriger ist, wenn man andere Kosten wie Endlagerung etc. mit einberechnen würde.
Zurück zum Ausgangspunkt und den Kernthesen von Ökosozialismus-Befürworterin Kapitalismus-Abschafferin Ulrike Hermann. Man kann zumindest folgende, sich widersprechende Punkte festhalten
Der Klimawandel ist real (wenn auch vielleicht nicht so apokalyptisch, wie ihn manche darstellen) und wir sollten weniger Öl und Kohle verbrennen
Öl und Gas wird knapp, Wachstum zu erzielen deswegen immer schwieriger
Degrowth wird in seinen gesellschaftlichen Implikationen (Bürgerkrieg, Krieg) höchst wahrscheinlich unterschätzt.
Für einen Ökosozialismus gibt es keinen gesellschaftlichen Konsens, weswegen er nur unter massiven Zwangsmaßnahmen eingeführt werden könnte.
Depopulation ist eine menschenverachtende Ideologie
Es fällt schwer, aus all diesen Widersprüchen und Dilemmata ein kohärentes Modell zu entwerfen. Insofern ist ein „großes Durchwursteln“ die wahrscheinlichere Variante. Den besten Lösungsvorschlag hat im zitierten Podcast noch Daniel Stelter selbst: Mehr Geld in Forschung und Entwicklung von neuen Energie-Quellen investieren.
Nur: Mit den jetzigen Mitteln geht es ziemlich sicher nicht. Wenn nicht bald irgendeine bahnbrechende Erfindung alles über den Haufen wirft, kommt es zum berüchtigten Degrowth. Und mit einer Verknappung der Ressourcen dürfte eine Moralisierung der Thematik mit einhergehen: Propaganda, Hitler. Kriegswirtschaft eben, wie Bestseller-Autorin es prophezeit. Zum Glück sind wir nicht im Krieg.