Die Inflation von 2023
Die Preise steigen weiter - und gleichzeitig fallen Aktien, Gold und Bitcoin. Ein Gespräch mit Buchautor Frank Stocker über die Hyperinflation von 1923 und was sich daraus für heute lernen lässt
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Vor nicht ganz einem Jahr sprach BlingBling mit dem Journalisten und Buchautor Frank Stocker, der auf Twitter den Account die Inflation von 1923 pflegt. Das Interview können zahlende Abonnenten hier nochmals nachlesen. Damals, Bitcoin hatte übrigens gerade seinen Höchststand von 60000 US-Dollar erreicht, glaubten die meisten, die Inflation sei vorübergehend, und würde sich spätestens Mitte 2022 wieder entspannen, und die Zentralbanken weiter mit ihrer Niedrigzinspolitik machen, der “Bubble of Everything”. Doch alles kam anders.
Mittlerweile liegt die Inflation bei bald zehn Prozent. Diese Woche wurden die Erzeugerpreise veröffentlicht, und die deuten daraufhin, dass die Spitze noch lange nicht überschritten ist, und wir sehr bald noch viel höhere Teuerungsraten sehen:
Zeit für ein neues Gespräch mit Frank Stocker, um nachzufragen, was passiert ist - und vor allem, wie es weitergehen kann.
Wir haben uns vor knapp einem Jahr das erste Mal unterhalten. Dein Buch war noch nicht erschienen, und zumindest auf offizieller Seite war man sicher, die Inflation sei nur vorübergehend. Nun hat sich alles ganz anders entwickelt. Überrascht?
Ja. Ich wäre davon ausgegangen, dass die Inflation aufgrund von Basiseffekten wieder sinken würde. Dann aber griff am 24. Februar Russland die Ukraine an und seitdem hat sich alles verändert. Was mich aber noch mehr überrascht hat, ist, dass die EZB so lange gebraucht hat, um darauf zu reagieren. Denn als die Gas- und Ölpreise durch die Decke gingen, war klar, dass es nicht mehr so einfach sein würde, die Inflation zu besiegen. Die amerikanische Zentralbank hat dann ja auch ziemlich schnell die Zinsen erhöht. Klar ist, die Zinsen werden nicht die Ölpreise senken. Aber sie haben ein psychologisches Signal: Wir tun etwas. Und das senkt die Inflationserwartungen. Und wenn die Menschen das Gefühl haben, es wird nicht so schlimm, verhalten sie sich anders, als wenn sie der Meinung sind, es geht immer weiter. Deswegen sind die Zinserhöhungen richtig, im Fall der EZB aber viel zu spät.
Es geht immer auch um Psychologie und Erwartungen.
Auf jeden Fall. Auch bei einer Deflation: Wenn man glaubt, alles wird immer billiger, dann hält man sich mit Kaufentscheidungen zurück. Und genauso ist es bei der Inflation auch.
Dein Buch geht darüber, wie es zur Hyperinflation von 1923 kam. Davon sind wir noch weit entfernt. Damals verlor das Geld so rapide an Wert, dass jeder sofort versuchte, es in etwas Werterhaltendes zu stecken. Derzeit aber verlieren solche Wertspeicher wie Gold, Immobilien oder auch Bitcoin auch an Wert. Warum?
Eine Flucht in Gold erfolgt erst dann, wenn Menschen Vertrauen in eine Währung verlieren. Da sind wir momentan nicht, und ich glaube auch nicht, dass wir dort hinkommen. Eine steigende Inflation bedeutet nicht, dass die Menschen denken, der Euro sei bald wertlos. Gold reagiert natürlich immer auf Inflation, aber da vor allem auf den US-Dollar und die amerikanische Inflation. Der US-Dollar ist derzeit aber extrem stark, weswegen Gold zwar in Euro gemessen gut gelaufen ist, nicht aber in US-Dollar. Die FED hat die Zinsen stark erhöht, deswegen bringen Leute ihr Geld in den Dollar-Raum, und deswegen steigt der US-Dollar relativ zu anderen Währungen. Deswegen ist Gold bisher schlechter gelaufen, als sich das viele erwartet haben.
Zu Aktien ist zu sagen: Die fallen auch gerade. Das hat damit zu tun, dass die Zinsen in einer Phase der schwachen Konjunktur erhöht wurden. Normalerweise geschieht das in Zeiten guter Konjunktur, um die Inflation zu dämpfen. Trotzdem sind Aktien die beste Investition. Unternehmen können Preiserhöhungen weitergeben, damit erhöhen sie ihre Umsätze und auch Gewinne. Das gilt natürlich so nicht eins zu eins, aber im Großen und Ganzen. Das ist aber die bessere Wahl als ein Tagesgeldkonto oder eine Lebensversicherung - und auch als eine Immobilie. Denn bei steigenden Zinsen können sich die Menschen die Raten nicht mehr leisten. Bei Immobilien erwarte ich deswegen noch einen starken Preisrutsch, weil das in den Markt immer länger dauert.
Wann begann denn in der Weimarer Zeit der Prozess, dass Leute ihr Geld in Sachwerte steckten?
Damals passierte das im Sommer 1922. Im Juni wurde der Außenminister Rathenau ermordet und dessen Tod hatte Signal-Wirkung. Rathenau hatte die Reparationsverhandlungen mit den Alliierten geführt und den Deutschen auch immer etwas Hoffnung gegeben, es würde sich zum Guten wenden. Das verschlechterte im Inland wie im Ausland die Stimmung. Die Reichsmark sackte im Wert ab, und die Inflation zog nochmals an. Damals fingen die Leute an, ihr Geld auf Teufel komm raus loszuwerden und Sachen zu kaufen. Das trieb die Inflation natürlich noch weiter an. Denn Inflation hängt längst nicht nur von der Geldmenge, sondern noch mehr von der Umlaufgeschwindigkeit ab. In dem Moment, wo jeder sein Geld nur noch loswerden will, galoppiert die Inflation.
Von diesem Kipppunkt oder „Point of no return“ ist man heute aber noch meilenweit entfernt?
Ja, und es ist auch kein „Point of No Return“. Eine Notenbank kann immer eingreifen. Das geschah damals aber nicht - im Gegenteil, die hat das damals noch weiterangefeuert.
Nicht so lange her ist eine eine zweite große Inflationsperiode, der Ölpreisschock der Siebziger. Welche ähnelt der derzeitigen Situation mehr?
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