Die Inflation von 1923
Der Journalist und Buchautor Frank Stocker twittert seit Juli täglich die Weimarer Hyperinflation von 1923. Ein Gespräch über Gelddrucken, Werte und Parallelen von damals zu heute
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Vor ein paar Wochen tauchte auf Twitter ein Account namens Die Inflation von 1923 auf. Untertitel: Die Inflation von 1923 - Der Weg in die größte deutsche Geldkatastrophe | Täglicher Bericht über Preise vor 100 Jahren und Ereignisse, die die Inflation trieben
Dahinter steckt der Journalist und Buchautor Frank Stocker. Mit BlingBling hat er über die Weimarer Hyperinflation, ihre Ursachen, und die Unterschiede zur Gegenwart gesprochen.
Frank, vielleicht kannst Du Dich kurz vorstellen, wer Du bist, und wie Du zu dem Projekt gekommen bist?
Ich schreibe bei der WELT über Finanzthemen, habe aber Geschichte studiert. Und da sich dieses Ereignis gerade zum 100. Mal jährt, und ich während des Lockdowns wenig zu tun hatte, kam ich auf die Idee, das in Form eines Buchs und eines Twitter-Accounts aufzuarbeiten.
Seit Juli twitterst du jeden Tag die Weimarer-Hyperinflation, beginnend im Jahr 1921. Heute, 29.10., ist der Dollar leicht gefallen, und der Reichskanzler wettert gegen “Wucherer”. Auf was achtest Du bei Deinen Tweets?
Ich schaue mir die Schlagzeilen der Zeitungen an, das was die Öffentlichkeit bewegt hat, und achte natürlich auf Ereignisse, die etwas mit der Inflation zu tun hatten.
Bei Deinen Tweets ist immer der Reichsmark-Kurs in Dollar zu lesen. Seit Juli hat er sich im Wert verdoppelt. Derzeit sind es 177,5 Reichsmark pro Dollar. War der damals schon die Leitwährung?
Ja, der Goldpreis war an den Dollar gebunden, und so auch für den Wert der Reichsmark bedeutend.
Haben die Leute eigentlich damals gemerkt, was passiert?
Mitte Juli kostete ein Ei in der Berliner Zentralmarkthalle 1,50 Reichsmark. Im Oktober waren es schon drei Reichsmark. Brot kostete 2,64 Reichsmark im Juli und im Oktober 3,75 Reichsmark. Das merkt tatsächlich jeder.
Man darf aber nicht vergessen, dass in dieser Zeit auch die Gehälter stiegen. Ein Arbeiter bekam im Juli 300 Mark, im Oktober waren es schon 500. Das bedeutet, die Menschen haben gemerkt, dass etwas eigenartig ist, aber noch nicht unbedingt darunter gelitten. Die Arbeiter waren gut gewerkschaftlich organisiert und konnten leicht höhere Löhne durchsetzen.
Solange Gehälter mitsteigen, ist Inflation für diejenigen, die Arbeit haben, kein so großes Problem.
Ja, allerdings verstärken sie natürlich auch die Inflation. Nach dem 1. Weltkrieg sind die Preis weltweit gestiegen. In den USA und Großbritannien aber haben die Notenbanken diese Inflation erstmal mit Zinserhöhungen erstickt, was zu einer schweren Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit führte. In Deutschland hat man genau das nicht gemacht. Die Regierenden sagten: Lieber Inflation als Arbeitslosigkeit. Und tatsächlich wuchs die deutsche Wirtschaft nach dem Krieg um sechs, sieben Prozent im Jahr. Das führte zu dem Trugschluss, wonach Inflation der bessere Weg aus der Krise sei. Das rächte sich später.
Ist das das Dilemma, vor dem Entscheider immer stehen: Entweder Inflation oder Wirtschaftskrise sprich Arbeitslosigkeit?
So drastisch würde ich es nicht formulieren. Wir hatten ja nun eine lange Periode mit geringer Inflation und soliden Wirtschaftswachstum. Aber wenn man zum Beispiel in die Türkei blickt, erkennt man das Dilemma von damals schon wieder. Der türkische Präsident Erdogan glaubt ja, niedrige Zinsen würden die auch zu niedriger Inflation führen. Das ist eine ziemlich absurde Meinung. Aber dahinter steckt natürlich das Interesse, die Wirtschaft am Laufen zu halten, und sich so die Wiederwahl zu sichern. Inzwischen liegt die Inflation in der Türkei bei rund 20 Prozent. Die einzige Möglichkeit wäre eine drastische Zinserhöhung, aber das würde natürlich eine Wirtschaftskrise auslösen.
Warum hast Du im Jahr 1921 begonnen? Manchmal wird der Beginn ja auch schon auf das Jahr 1914 angesetzt.
1921 ging es allmählich richtig los, Mitte 1922 rutschte Deutschland dann in die Hyperinflation – das bedeutet, dass die Preise innerhalb eines Monats um mehr als 50 Prozent steigen . Im Moment, also im Oktober 1921, betragen die Preissteigerungen etwa 36 Prozent zum Vorjahr. Das ist auch schon viel, aber später waren es ganz andere Dimensionen.
Eigentlich aber hat die Inflation am 4. August 1914 begonnen, an diesem Tag wurden die sogenannten „Währungsgesetze“ zur Finanzierung des Krieges verkündet. Das waren verschiedenste Maßnahmen, aber eine davon, die „Ursünde“, war, die Golddeckung der Mark aufzuheben. Davor musste die Reichsmark mit Gold gedeckt werden. Gleichzeitig wurde eine Parallelwährung geschaffen, durch die neu gegründete Darlehensbank, die Unternehmen mit Krediten versorgte. Die Pläne dafür lagen seit langem in der Schublade und waren Teil der Kriegsvorbereitungen.
1918 war die sich im Umlauf befindende Geldmenge schon fünf Mal so hoch wie zu Beginn des Krieges. Gleichzeitig war die Wirtschaft um 30 Prozent geschrumpft.
Der Goldstandard wurde ja mit Kriegsbeginn von allen Staaten aufgehoben, auch von den Alliierten Großbritannien und Frankreich. Warum eskalierte die Inflation aber bei den Siegermächten nicht so?
Deutschland hatte als Verlierer natürlich ganz andere Probleme. Das Land hatte 13 Prozent der Fläche und zehn Prozent der Bevölkerung verloren, zudem 75 Prozent des Eisenerz-Vorkommen, 68 Prozent der Zink-, und 26 Prozent der Steinkohleproduktion. Wirtschaftlich war Deutschland hart getroffen. Dazu kamen 1,5 Millionen Kriegsbeschädigte und 1,7 Millionen Kriegshinterbliebene, die versorgt werden mussten. Besonders schwer aber wogen die Reparationszahlungen. Deutschland sollte in den kommenden Jahren 132 Milliarden Goldmark an die Siegermächte bezahlen. Das entsprach rund 47000 Tonnen Gold.
Das musste in physischen Gold oder Papiergeld bezahlt werden?
In Devisen - also eben nicht in Reichsmark. Die Zahlungen mussten in Dollar, Pfund oder Franc geleistet werden, die wiederum noch eine Teil-Golddeckung hatten. Die Reparationen konnte die Reichsbank also nicht einfach wegdrucken. Das führte auch zu einer Abwärtsspirale: Weil die Regierung im August 1921 die Devisen für eine Tranche der Reparationen nicht hatte, musste sie an den Börsen Papiermark in Devisen tauschen. Dadurch aber fiel die Reichsmark weiter im Wert. So hat man sich das eigene Grab geschaufelt. Und danach war klar: Deutschland kann die Reparationen nicht bezahlen.
Einmal ganz platt gesagt: Ein Land hat eine bestimmte Menge an Gold und Produktionskapazitäten und muss jetzt, weil es einen Krieg verloren hat, einen Teil davon abtreten. Es geht also um Abflüsse in Realwerten. Wer hat am Ende dafür die Zeche gezahlt?
Man hätte das Geld theoretisch über Steuern eintreiben können, aber das ließ sich politisch nicht durchsetzen, da die Großgrundbesitzer und Industriellen eine starke Lobby waren. Deswegen erledigte man das über die Inflation, wenngleich das natürlich niemand so geplant hatte. Inflation ist letztlich ja auch eine Steuer, nur dass der Staat nicht festlegt, wer wieviel bezahlt. Die Zeche zahlen im Prinzip alle. Wer aber schlauer und schneller ist, kann sich dem entziehen. Wer nicht merkt, was los ist, bezahlt am Ende.
Wer waren die Gewinner, und wer die Verlierer?
Verlierer waren alle Sparer, das war vor allem das Bürgertum. Die Arbeiter hatten kaum Ersparnisse und lebten von der Hand in den Mund. Diese Schicht war deswegen von der Inflation weniger stark betroffen. Bauern ging es relativ gut, denn Lebensmittel brauchte man immer. Auch Großgrundbesitzer und Industrielle kamen gut durch die Krise. Jeder, der Realwerte hatte, auch Aktionäre kamen gut durch diese Zeit. Der Wert der größten deutschen Aktien lag 1923 noch bei rund 70 Prozent des Wertes vor dem Krieg. Das war natürlich ein Verlust, aber vergleichsweise gering zu anderen Anlageklassen. Außerdem waren diejenigen, die Schulden hatten, die Gewinner. Ein besonderes Beispiel ist der Industrielle Hugo Stinnes. Der kaufte sich in dieser Zeit auf Kredit die halbe deutsche Wirtschaft zusammen.
Wie haben die Reichen damals ihr Vermögen geschützt?
Gold und Devisen sind ein nahe liegendes Mittel. Das Problem war, dass der Besitz von Gold und Auslandswährungen auf dem Höhepunkt der Inflation 1923 verboten wurde. Wer mit Gold oder Auslandswährungen erwischt wurde, bekam dazu noch eine Strafe. Das klingt jetzt so, als sei das schwer umsetzbar. Gleichzeitig wurden aber die Grundrechte, wie das Recht auf Unverletzlicheit der Wohnung eingeschränkt. Es gab 1923 sogenannte Devisen-Razzien. Da wurden Cafés und Restaurants gestürmt und alle Anwesenden mussten die Taschen ausleeren. Die einzige wirkliche Möglichkeit waren Realwerte wie Immobilien und Aktien.
Was ist eigentlich mit dem Goldpreis damals passiert? Wäre das die richtige Anlage gewesen, um sich vor der Inflation zu schützen?
Der Goldpreis war fix bei 20,67 US-Dollar bei Feinunze. Es gab natürlich einen gigantischen Schwarzmarkt, der mit solchen Razzien eingedämmt werden. Es wäre ein gutes Investment gewesen, hätte man es nicht verboten.
Führte die Geldentwertung auch zu einer Entwertung von Werten?
Es gab damals die so genannten „Inflationsheiligen“. Das waren durchs Land reisende Männer in weiten Gewändern und mit dichtem Bart, die oft noch eine Anhängerschar hinter sich herzogen. Die predigten das Ende der Welt und forderten alle auf, sich zu reinigen. Ein illustrer Haufen, von denen die meisten Scharlatane waren und die Gelegenheit nutzten, sich einen Harem aufzubauen.
Ein Schlager jener Zeit „Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen“, ist heute noch bekannt. Der bringt das Gefühl des Fatalismus ganz gut auf den Punkt. Es kam zu einem Sittenverfall, Armut und Prostitution nahmen rapide zu.
Abgesehen von der Entwertung von Vermögen - welche Effekte hatte die Inflation auf die Gesellschaft?
Man könnte so weit gehen und sagen, dass die 1923er-Inflation auch einen positiven Effekt auf die deutsche Gesellschaft hatte: Sie nivellierte Unterschiede. Vor dem Krieg war das Land von einer starren Klassengesellschaft geprägt: Adelige, Bürgertum und Arbeiter. Dazwischen gab es keinen Austausch. Zumindest die Unterschiede zwischen Bürgertum und Arbeiterschicht nivellierte die Inflation. Das Problem war nur: Die Angleichung fand nach unten statt. Diese Erfahrung der Deklassierung des Bürgertums und der damit verbundene Frust begünstigten letztlich auch den Aufstieg Hitlers zehn Jahre später. Andererseits liegen hier vielleicht auch die Wurzeln der deutschen Mittelschichtsgesellschaft. In vielen anderen Ländern sind die Schichten ja noch immer viel ausgeprägter als in Deutschland.
Im Nachhinein scheinen die Fehler der Verantwortlichen immer offensichtlich. Aber eine Hyperinflation konnte ja niemand gewollt haben. Was haben sich die Entscheider damals gedacht?
Heute weiß jeder: eine steigende Geldmenge bei gleichbleibender Gütermenge führt zu Inflation. Damals aber war der Konsens unter deutschen Ökonomen ein völlig anderer. Man glaubte, die Inflation entstehe durch die negative Außenhandelsbilanz. Deutschland importierte damals mehr, als es exportierte. Man dachte nun, dass dies zu einem Wertverlust der Mark gegenüber dem Dollar führe, was die Preise treibt. Und weil die Preise steigen, muss man immer mehr Geld drucken, um die Waren zu bezahlen. Das Gelddrucken sei also nur die Folge der Inflation, nicht deren Ursache. Die Inflation könne man folglich nur dadurch bekämpfen, dass man das Handelsdefizit schließt. Deswegen drängten die Industriellen beispielsweise ständig auf eine Verlängerung der Arbeitszeiten. Für Ökonomen und Experten im Ausland war diese deutsche Theorie aber damals schon zum Haareraufen. Der britische Botschafter in Berlin, selbst studierter Ökonom, fand die Theorie grotesk und versuchte die deutschen Verantwortlichen in Gesprächen immer wieder aufzurütteln. Erfolglos.
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Die Inflation wurde Anfang 1923 zur Hyperinflation. Wie kam das?
Als die deutsche Regierung ihren Reparationsverpflichtungen nicht nachkam, besetzten die Franzosen am 10. Januar das Ruhrgebiet, das wirtschaftliche Zentrum des Landes. Berlin rief zum Generalstreik im besetzten Gebiet auf und sicherte den streikenden Arbeitern Lohnfortzahlung zu. Dafür wurde die Druckerpresse nochmals angekurbelt. Jetzt ging es erst so richtig los, die Preise explodierten, erreichten Millionen, Milliarden und Billionenwerte. Dann endlich, Mitte August dämmerte jedoch einigen, dass das Problem vielleicht nicht im Handelsdefizit liegt, sondern im Gelddrucken.
Mindestens ebenso faszinierend ist, wie man die Inflation so plötzlich beenden konnte. Denn Ende 1923 war es plötzlich damit vorbei. Wie geschah das?
Zunächst beschloss die Regierung, das Defizit des Staates abzubauen. Der Ruhrkampf wurde Ende September 1923 beendet, der Staat hörte auf die Löhne der streikenden Arbeiter zu ersetzen . Gleichzeitig, das muss man sich mal vorstellen, entließ der Staat ein Viertel aller Beamten, und er organisierte die Unterstützung der Erwerbslosen neu, so dass der Staat auch hier entlastet wurde. Am 15. November 1923 wurde dann die Rentenmark eingeführt – und die Inflation endete über Nacht.
Mit was war die gedeckt?
Die Reichsbank hatte ja fast kein Gold mehr. Deshalb erörterte man verschiedene Ideen, zum Beispiel, die neue Währung an Getreide zu koppeln, die „Roggenmark“. Am Ende aber setzte sich die Idee der Rentenmark durch, die ihren Gegenwert von Schuldverschreibungen aus Industrie, Landwirtschaft und Gewerbe bezog. Die neue Währung hatte also einen realen Basiswert.
Und das funktionierte?
Das war ein wichtiger psychologischer Effekt. Ebenso wichtig war aber, dass die Reichsbank gleichzeitig das Gelddrucken beendete. Dennoch war es ein Experiment mit ungewissen Ausgang, aber es funktionierte durch die Kombination aus neuer Währung und dem Ende des Gelddruckens.
Es gibt Leute, darunter mittlerweile Twitter-Chef Jack Dorsey, die sagen, wir befinden uns wieder auf dem Weg in Weimarer Verhältnisse. Und tatsächlich sehen wir derzeit die Preise von manchen Rohstoffen explodieren. Was ist ähnlich zu heute? Und was ist grundlegend anders?
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