Zerfallende Ordnung
Israel, Armenien, Niger - an immer mehr Stellen auf der Welt flackern Konflikte auf. Was haben sie miteinander zu tun?
Liebe BlingBling-Leser,
für eine tiefere Deutung des erneuten Krieges in Palästina ist es noch etwas zu früh. Aber es lässt sich zumindest sagen, dass die Nutznießer des Konfliktes eher im antiwestlichen Lager zu finden sind. Der Iran hat die brutalen Attacken auf Zivilisten begrüßt. In Peking und Moskau forderte man beide Seiten zu Zurückhaltung auf, was ein Euphemismus für „wir mischen uns nicht ein“, ist.
Sollte der Konflikt eskalieren, und sogar die USA in den Krieg hineingezogen werden, dürften Ressourcen in Form von US-Dollar und Waffen weg von der Ukraine in Richtung Israel gelenkt werden, wovon Russland freilich profitiert.
Konflikte in und um Israel haben traditionell die größte mediale Aufmerksamkeit. Das liegt nicht zuletzt an der Korrespondenten-Dichte, die ist dort um ein Vielfaches höher als zum Beispiel in Aserbaidschan, was zum zweiten Konfliktherd führt. Es ist niemanden übelzunehmen, wenn er Aserbaidschan, Armenien und die Enklave Berg-Karabach nicht auf der Karte findet. Nur so viel: Die Länder liegen im Kaukasus. Aserbaidschan ist ein traditioneller Verbündeter der Türkei (und Israels) und militärisch wesentlich stärker als das Russland nahe stehende Armenien. Da Russland nun in der Ukraine so sehr beschäftigt ist, sah Aserbaidschan die Chance, sich seine armenische Enklave einzuverleiben. Rund 100000 Armenier mussten fliehen. Die Türkei billigt das Vorgehen. Die Idee ist es, einen Transportkorridor über das Kaspische Meer über Zentralasien nach China zu schaffen. Darüber freut sich Peking, da dies ziemlich genau seinen Plänen entlang der Neuen Seidenstraße entspricht.
Mehr zum Thema findest Du in meinem im Mai erschienenen Wirtschaftsbuch-Bestseller: “Die dreckige Seidenstraße - wie Chinas Wirtschaftspolitik Demokratien und Staaten untergräbt”.
Unterdessen haben sich die Frankreich (und die EU) und Armenien angenähert. Dort lebt noch immer eine der größten armenischen Exilgemeinden nach dem Völkermord durch die Osmanen 1918. Das scheint so, als hätte Paris sich an Moskau gerächt. Im Niger nämlich hatten Russland nahe stehende Truppen die Macht übernommen und die Franzosen vertrieben. Da Frankreich bisher sein Uran zu Billigpreisen aus dem Land bezog, dürfte das eine Erklärung für den stark steigenden Uran-Preis (und Aktien von Atomkraftbetreibern sein).
Und schließlich zogen vor zwei Wochen noch serbische Truppen an der Grenze zum Kosovo auf. Die Abtrennung des Kosovo von Serbien und das NATO-Bombardement 1999 sind für panslawische Nationalisten und Millionen von orthodoxen Christen so etwas wie die Ursünde der „Neuen Weltordnung“. Im Kosovo leben vor allem muslimische Albaner. Folgt man aber strikt dem alten nationalistischen Prinzip: „Ein Volk, ein Staat“ ergeben sich Kaskaden von Ansprüchen. Auch Putin rechtfertigt den Ukraine-Krieg ja vor allem damit, von Russen bewohnte Gebiete mit Russland zu vereinen. (Ob man ihm das glaubt, ist eine andere Sache).
Die Welt ist im Umbruch, und man kann dies durchaus als eine Übergangsphase in eine „multipolare Weltordnung“ sehen. Allerdings wäre ich vorsichtig, hinter jedem Konflikt sofort die Hand Putins oder Pekings zu sehen. Viele Konflikte resultieren schlicht daraus, dass das fragile Gleichgewicht der vergangenen zwei Jahrzehnte nun gestört ist.
Etwas an dieser Stelle ist interessant, was sich eher im Hintergrund abspielt. China wirft derzeit US-Staatsanleihen auf den Markt. Der Bestand ist auf dem niedrigsten Niveau seit über zehn Jahren. Was bedeutet das?
Kriege werden im 21. Jahrhundert nur zum Teil militärisch geführt. Ein großer Teil der Auseinandersetzung findet technologisch und vor allem ökonomisch statt. Kurz zum Hintergrund: China ist eines der wenigen Länder (zusammen mit Deutschland, Japan und Südkorea), die eine positive Handelsbilanz haben. Das heißt, sie exportieren mehr, als sie importieren. China verkauft, also Waren, früher Textilien, heute Elektroautos, in die USA. Dafür erhält es US-Dollar. Irgendwas muss Peking mit diesem Überschuss tun, und in einer immer weiter zusammenwachsenden Welt kaufte China dafür US-Staatsanleihen. Für die USA war das eine Art Dollar-Recycling. Man druckte US-Dollar, kaufte dafür Waren, und der Produzent schrieb einfach Schulden an.
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