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The China Gamble
In China braut sich ein Sturm zusammen. Eine Anleitung, um die Zeichen zu lesen.
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Willkommen zur 39. Ausgabe von BlingBling!
Kangbashi in der Inneren Mongolei war 2013 eine voll funktionierende Millionenstadt. Der Flughafen, in Form einer gigantischen Jurte, war gerade fertiggestellt. Nagelneue Hotels sollten Geschäftsleute aus Peking und Shanghai beherbergen. Die Ampeln regelten den verkehr vorbildlich. Die Straßen waren groß, breit und sauber. Ein modernes Finanzzentrum war gerade noch im Bau. Allein: Die Menschen fehlten. Kangbashi war leer, eine Geisterstadt, - und ist es wohl immer noch:



Es gibt einige davon in China, und sie sind die sichtbarste Form der chinesischen Krankheit, die gerade die globalen Finanzmärkte in Atem hält. 2008 hatte China die Weltwirtschaft aus der Krise gerettet, so das gängige Narrativ. Die chinesische Regierung hatte 600 Milliarden US-Dollar locker gemacht, und das Geld in Infrastrukturprojekte gepumpt. Und wo immer zu viel Geld von zentraler Stelle geschaffen auf die Realität trifft, entstehen Fehlallokationen: Brücken ins Nirgendwo, Geisterstädte, Preisverzerrungen und Schulden.
Das Video zum Song “Gosh” von JamieXX wurde in Tianducheng gedreht, einem Nachbau von Paris, in der Nähe von Shanghai.
Das liegt auch am politischen System: Provinzfürsten bekommen Vorgaben von der Zentralregierung, wie hoch das Wachstum zu sein hat. Erreichen Sie das Ziel nicht, werden sie abgesetzt. In der Folge wird getrickst und verzerrt, wo es nur geht. Das Problem nahm solche Ausmaße an, dass selbst der chinesische Ministerpräsident Li Keqiang auf andere Parameter wie Stromverbrauch, Frachtvolumen und Bankdarlehen zu achten, anstatt auf offizielle Wachstumszahlen. Daraus machte das Magazin “The Economist” dann den Li-Keqiang-Index.
Spätestens seit 2010 weisen China-Analysten deswegen immer auf die tickende Zeitbombe des chinesischen Immobilienmarkts hin. Die gibt es: China hat zu viele (verdeckte) Schulden und unproduktive Projekte, die auf dem Papier zwar die BIP-Wachstumszahlen gut aussehen lassen - Number go up -, aber eigentlich wertloser Schrott sind. In China stehen auch derzeit 80 Millionen Wohnungen leer, in die nie jemand einziehen wird.
Es gibt aber auch noch einen zweiten chinesischen Immobilienmarkt, und diese Unterscheidung ist nützlich, um die aktuelle Evergrande-Geschichte besser zu verstehen. Es hilft, sich China als Kontinent vorzustellen (In der Volksrepublik leben dreimal so viele Menschen wie in der EU, die Fläche ist doppelt so groß). Der Immobilienmarkt von Shanghai unterscheidet sich von dem in der Inneren Mongolei genauso wie die Hauspreise in London von denen in Würzburg. In den großen Städten der Ostküste wie Shanghai, Peking und Shenzhen gibt es eine extreme Nachfrage nach Wohnraum. Nicht nur nach Wohnraum - sondern auch nach Möglichkeiten, das eigene Ersparte anzulegen.
Die Urbanisierung Chinas ist einer der Megatrends der vergangenen Jahrzehnte. 1980 lebten 20 Prozent der Chinesen in Städten, heute sind es 60 Prozent - in Deutschland sind es fast 80 Prozent. Es ist also noch immer Luft nach oben.
Ausgabe 38 “Die größte Bubble Ever”
(Kleiner Witz am Rande: Eigentum in Form von Land gibt es in der sozialistischen Volksrepublik nicht. Seit Ende der 80er Jahre ist Privatpersonen nur erlaubt, Eigentum von der Regierung für 70 Jahre zu leasen.)
Steigende Immobilienpreise sind für die kommunistische Partei ein Problem. Sie gefährden den Wohlstands-Pakt, den die KP implizit mit dem chinesischen Volk geschlossen hat: Ihr bekommt Wohlstand, dafür verzichtet ihr auf politische Teilhabe. Wenn Wohnungen zu teuer werden, wird der Aufstieg in die Mittelschicht erschwert, und dieser Aufstieg von hundert Millionen Chinesen aus Armut in ein mit westlichen Standards Leben war das Benzin für Chinas Aufstieg.
Es gibt also mindestens zwei gegensätzliche Entwicklungen auf dem chinesischen Immobilienmarkt: Einer mit echter, sehr hoher Nachfrage an der Ostküste, und einen zweiten im Inland.
=> 1. Ein Ziel des Regimes ist es deswegen, den Preisanstieg von Immobilien an der Ostküste zu bremsen. Ein Deleveraging-Effekt einer Evergrande-Pleite kommt gelegen.
Eines aber haben beide Märkte gemeinsam: Schulden. Die chinesische Staatsverschuldung ist mit 45 Prozent des BIP weit geringer als die westlicher Volkswirtschaften. Das Problem aber sind die Schulden der Unternehmen und der Lokalregierungen. Das noch größere Problem: Niemand weiß genau, wie hoch sie eigentlich sind. Weil Kredite in den vergangenen Jahren bevorzugt an Staatsunternehmen gingen, haben sich Privatunternehmen bei Schattenbanken und privaten Geldverleihern verschuldet. Chinas Unternehmensschulden sind eine Black Box, von der die KP vermutlich auch wenig Ahnung hat.
The property sector is notorious for its addiction to debt. This addiction has expressed itself not just in borrowing from banks and bond markets but in a variety of other ways. Property developers regularly presold apartments to homebuyers many months or even years in advance, for which they received the full price or at least a substantial deposit. They paid off contractors and suppliers with commercial paper and receivables instead of cash.
Michael Pettis: What Does Evergrande Meltdown Mean for China?
=> 2. Ein zweites Ziel ist es, eine Kaskade von Kreditausfällen zu vermeiden.


Und schließlich geht es noch um etwas Drittes: Xi Jinping hat in den vergangenen Monaten seine Kontrolle über immer mehr Bereiche der Wirtschaft ausgedehnt. Alibaba-Gründer Jack Ma wurde vor einem Jahr mundtot gemacht und soll sich mittlerweile vor allem mit Malerei beschäftigen (müssen).
IPOs chinesischer Unternehmen wurden abgesagt, die Ausbildungs-, Online-Gaming und der gesamten Tech-Industrie wurde ausgeweitet. In diesem Zusammenhang ist auch das Bitcoin-Mining-Verbot zu sehen. Die Pandemie-Maßnahmen haben die Zahl der Ausländer im Land extrem reduziert. China ist dabei, sich vom Rest der Welt zu entkoppeln. Man kennt das von totalitären Systemen, die sich auf große Konflikte vorbereiten.
Ausgabe 31: “Changes Unseen in a Century”
=> 3. Die KP will noch mehr Kontrolle über die chinesische Wirtschaft - auch über die Immobilienindustrie.
Die drei Ziele widersprechen sich zum Teil. Aber man bekommt trotzdem eine Ahnung, in welche Richtung es gehen wird: Evergrande soll geordnet in die Insolvenz gehen. Geprellte Anleger werden entschädigt, denn nichts fürchtet die KP mehr als unzufriedene Demonstranten. Der Schock aber soll groß genug sein, um Konkurrenzunternehmen zu warnen. Im Ideal fall sinkt die Verschuldung und die Immobilienpreise gleich mit. Die Investitionen verlagern sich in produktivere Sektoren.
Das große Fragezeichen in diesem Gamble sind die intransparenten Schulden der chinesischen Privatunternehmen. Niemand, auch die Kader in Peking nicht, wissen, welche Effekte die Zahlungsausfälle von Evergrande auf kleinere und mittlere Privatunternehmen haben wird.
Derzeit aber ist es unwahrscheinlich, dass Evergrande eine globale Krise auslöst. Eher wird genau das passieren, was derzeit bei jedem kleinen Konjunktur-Schluckauf geschieht: Mehr Geld, mehr Number-Go-Up.
China ist noch immer ein gigantischer Wachstumsmarkt. Derzeit gelten Alibaba-Aktien im Vergleich zu Amazon als Kaufgelegenheit. Aber die politischen Unsicherheiten haben in den vergangenen zwei Jahren massiv zugenommen.

Und schließlich gibt es eine ethische Dimension von China-Investments. Zahlreiche chinesische Unternehmen sind in Zwangsarbeit in Xinjiang verstrickt, und mit jedem Euro unterstützt man auch eine Hightech-Diktatur, die ihre Macht auch längst über die eigenen Landesgrenzen hinaus ausdehnt.


Crypto-Update: Ausländische Gläubiger von Evergrande werden wohl leer ausgehen. Die Gerüchte darüber, dass Tether von den Zahlungsausfällen bei Evergrande betroffen ist, mehren sich. Aber: Es gibt derzeit einfach keinen Beweis, dass Tether-Reserven wirklich in Evergrande-Anleihen angelegt wurden. Das Unternehmen bestreitet dies. Die Gerüchte beziehen sich auf Aussagen des Twitter-Accounts Bitfinex’ed, der mir wiederum sagte, er beziehe sich auf einen anonymen Insider. Nach wie vor schweigt Tether über die Herkunft bzw. die Anlage seiner 60 Milliarden Commercial Papers. Es gibt Interviews, in denen Tether selbst sagt, es handele sich um chinesische Unternehmensanleihen. Sollte sich die Evergrande-Pleite ausweiten, dürfte die angebliche Deckung des Stablecoins eben doch in Gefahr geraten. Immerhin hat es die Geschichte jetzt schon in die Mainstream-Medien geschafft: Reuters war das vergangene Woche eine Meldung wert.
Gleichzeitig ist es wohl kein Zufall, dass China heute ein Verbot aller Crypto-Transaktionen bekannt gegeben hat. Gut möglich, dass Peking noch schnell ein Schlupfloch schließen will, für reiche Chinesen, die Geld außer Landes bringen wollen. Am Freitag wurden nämlich auch die Bosse eines anderen chinesischen Unternehmens verhaftet:

Letzter Gedanke: Trotz aller Turbulenzen entwickelt sich Bitcoin ständig weiter. Im gleichen Maße, wie Regierungen via Technologie immer mehr Kontrolle über ihre Bürger ausüben, wird eine Alternative attraktiver. Demnächst sind Bitcoin-Zahlungen auf Twitter möglich:

Schönes Wochenende!
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The China Gamble
Danke wieder für den guten Newsletter. Ähnlich wie die MSM einen Negativity Bias zu Bitcoin habeb, hast Du vielleicht einen zu Tether? Nur ne Anregung, wir haben alle unbewusste (Confirmation) Bias… Die Megatrends sind nämlich nach wie vor in stanz für Crypto (1000% Wachstum?!…)…