Taiwan, Halbleiter und Solarzellen
Ein Konflikt mit China würde die Weltwirtschaft wesentlich härter treffen als der Krieg in der Ukraine. Ein Deep Dive in die Abhängigkeit der Weltkonjunktur von der kommunistischen Partei Chinas
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Was wir derzeit sehen, ist eine „Bärmarkt-Rally“, also steigende Kurse in einem übergeordneten Abwärtstrend. Leider weiß man nie genau, ob eine Bärmarkt-Rally nicht eigentlich schon längst der Auftakt zu einem neuen Bullenmarkt ist.


Sollte in den kommenden Monaten der Ölpreis sinken (wahrscheinlich), und es zu einer Verhandlungslösung mit Russland kommen (unwahrscheinlich), läuft alles wieder wie geschmiert. Alles? Hm… Mist, da ist noch eine andere Krise. Ein Deep Dive in die chinesische Industriepolitik und die selbst verschuldete Abhängigkeit des Westens von China:
Der Besuch von Nancy Pelosi in Taiwan vergangene Woche hat nochmals klar gemacht, was in zahlreichen Strategie-Abteilungen internationaler Großkonzerne schon länger als Alptraum-Szenario durchgespielt wird: Die ruckartige Entkopplung von China. Nicht nur, dass Peking mit übertriebener Zurschaustellung der eigenen militärischen Macht auf den Besuch reagierte - die Wahl des Zeitpunkts seitens Washingtons war auch eine Provokation mit Ansage. Die zwei Supermächte steuern auf einen Konflikt zu, und das spätestens seit 2018. Wie konnte es dazu kommen?
Ein oberflächlicher Blick auf die vergangenen Jahre macht den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump als Schuldigen aus. Der verhängte während seiner Amtszeit in mehreren Runden Strafzölle gegen chinesische Importe. Nicht nur das - Trump war aufgrund seiner erratischen Unberechenbarkeit der chinesischen Führung ein Gräuel. Trump eignet sich zwar nach wie vor für allerlei dämonische Projektionen, nüchtern betrachtet aber tat Trump in Hinblick auf China nur, das was längst überfällig war. Ein Demonstrant in Hongkong fasste das 2019 einmal knapp zusammen und wurde zu einem Meme:
Und um das zu verstehen, hilft es, nochmals knapp 20 Jahre zurückzuspulen. Es ist das Jahr 2001, das für China und die Weltwirtschaft so vieles verändert. Als Dank für die Unterstützung im Antiterror-Krieg unterstützt Washington den Beitritt Pekings zur Welthandelsorganisation (WTO). Die Aufnahme in den Club der Marktwirtschaften bringt viele Vorteile, aber auch Pflichten mit sich. Eine Mitgliedschaft schafft die Voraussetzung für Investitionen aus dem Ausland, die Peking dringend will. Im Gegenzug soll Peking faire Bedingungen für chinesische wie ausländische Unternehmen schaffen und Delikte wie Produktpiraterie und Technologie-Klau unterbinden. In Folge des WTO-Beitritts beginnt der wohl gewaltigste Wirtschaftsaufschwung der Weltgeschichte. Milliarden von Investitionen, und hunderttausende von Unternehmen strömen ins Land. Acht, neun, zehn, ja sogar zwölf Prozent im Jahr wächst das chinesische Bruttoinlandsprodukt. „Nicht in China zu sein, können wir uns nicht leisten“, heißt es bald bei vielen westlichen Unternehmen. China ist der Markt der Zukunft, und wer in der Zukunft etwas zu sagen haben will, muss dort hin. Nicht alles funktioniert reibungslos, natürlich nicht. Es gibt korrupte Kader, die, wenn es darum geht, öffentliches Land an Unternehmen zu verkaufen, die Taschen aufhalten. Immer wieder klagen westliche Unternehmen über modernste Produktentwicklungen, die plötzlich von der chinesischen Konkurrenz nachgebaut werden. Und bei öffentlichen Ausschreibungen kommen stets chinesische Staatsunternehmen zum Zug. All dies ist nicht im Sinne der WTO-Regeln. Aber die Welt wächst zusammen, sagt man sich, und warum Peking nicht etwas mehr Zeit geben?
Und als 2008 die große Finanzkrise die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds bringt, ist es Peking, das den Karren mit einem gewaltigen Infrastruktur-Paket wieder auf Spur bringt.
Als 2013 ein neuer Staatspräsident die Macht ergreift, fällt vielen der neue Kurs zunächst nicht auf. Xi festigt mit einer Anti-Korruptionskampagne seine Macht, und gegen die ist wenig einzuwenden. Seine eigene Amtszeitbegrenzung schafft er ab. Den Regierungsapparat baut er zu seinen Gunsten um. Bald vereinigt Xi so viel Macht auf sich wie vor ihm nur Mao Zedong. Im Land selbst nehmen Überwachung und Zensur zu ebenso wie die nationalistische Propaganda, die das Volk auf einen Showdown mit den USA trimmt. Immer wieder spricht Xi in seinen Reden von „großen Veränderungen, wie sie nur alle hundert Jahre vorkommen“, von einem „chinesischen Wiederaufstieg“ ist die Rede, zu dem natürlich auch die „Wiedervereinigung“ mit Taiwan gehört. 2014 verkündet Xi das Konzept der „neuen Seidenstraße“. Nun sollen chinesische Staatsunternehmen auch im Ausland aktiv werden. Über Investitionen in die Infrastruktur will man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Neue Absatzmärkte für chinesische Waren schaffen und die - oft autokratischen - Regierungen dieser Länder enger an sich binden. Da die von den moslemischen Uiguren bewohnte Provinz Xinjiang eine Schlüsselrolle bei Zug nach Westen darstellt, beginnt die brutale Unterdrückung der Minderheit etwa um diese Zeit.

Gleichzeitig soll eine neue wirtschaftliche Doktrin China unabhängiger von der Weltwirtschaft machen. Die Theorie der „zwei Kreisläufe“ soll einerseits einen weitgehenden autarken Binnenmarkt unterstützen, und gleichzeitig über einen zweiten Wirtschaftskreislauf mit der globalen Wirtschaft enger verbunden sein. Letztlich aber geht es um mehr Kontrolle. Nicht die globale Konjunktur soll die Wirtschaft in China bestimmen, sondern die Partei einen Einfluss auf die globale Konjunktur haben.
Und tatsächlich ist es der kommunistischen Partei in den vergangenen Jahren gelungen, einen großen Hebel aufzubauen. Autobauer wie Daimler, VW und BMW sind längst abhängig vom größten Konsumentenmarkt der Welt, wo sie rund ein Drittel ihrer Fahrzeuge absetzen. Mitgefangen sind tausende von mittelständischen Unternehmen, die als Zulieferer ihren Kunden nach China folgen mussten. Bei seltenen Erden, für die Herstellung von Smartphones notwendigen Elementen, hat China ein Quasi-Monopol. Auch 60 Prozent des Aluminiums kommen heute aus China.
Im Falle eines Konflikts um Taiwan droht außerdem eine Knappheit am nach Erdöl wohl wichtigsten Elixier für die Konjunktur. Rund 60 Prozent aller Halbleiter kommen aus Taiwan. Marktführer TSMC produziert alleine 53 Prozent aller Halbleiter. Kaum ein Technologie-Unternehmen kommt heute mehr ohne die Chips von TSMC aus. Tesla, Apple, Nvidia - sie alle sind Kunden von TSMC. Aber auch die europäische Autoindustrie ist ohne die Chips aus Taiwan nicht produktionsfähig.

Am deutlichsten wird die Abhängigkeit des Westens von China aber bei der Energiewende. Rund 80 Prozent aller Solarzellen werden in China hergestellt. Rund 50 Prozent des für die Photovoltaik wichtigen Polysiliziums kommt aus vier großen Werken in der Unruhe-Provinz Xinjiang und wird potenziell unter Zwangsarbeit hergestellt. Hinzu kommt: Für die Herstellung der Solarzellen ist viel Energie notwendig - und die wiederum kommt aus chinesischen Kohlekraftwerken. Die Hälfte aller sich im Bau befindlichen Kohlekraftwerke weltweit befinden sich in China.
Das Label ESG steht für „Enviroment, Social, Governance“, zu deutsch “Umwelt, Soziales und Unternehmensführung” soll die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts für Mensch und Natur nachhaltig gestalten. Hinsichtlich China aber wird es zum Trilemma. Saubere Energie - könnt ihr haben, wird aber mit Kohle und Zwangsarbeit hergestellt.


Nicht alle diese Entwicklungen sind die Folge kluger Industriepolitik Pekings, sondern eher der völligen Abwesenheit westlicher Industriepolitik geschuldet. Während man dies in den USA schon um das Jahr 2018 erkannt hat, und der neue „Entkopplungs-Kurs“ mittlerweile Konsens über die Parteigrenzen hinweg ist, sickert die Erkenntnis in der EU erst langsam durch. Will man einen Energie-Schock wie nach der russischen Invasion in die Ukraine vermeiden, sollte man spätestens jetzt die China-Politik überdenken und neu ausrichten. Es geht gerade nicht um einen ruckartigen Abbruch aller Handelsbeziehungen, sondern darum einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden und Menschenrechtsverbrechen klar zu benennen - eine wertebasierte Handels- und Industriepolitik also. Denn nach bald zehn Jahren Xi Jinping muss auch dem größten „Panda-Hugger“, wie man die westlichen China-Fans in Industrie und Politik nennt, klar geworden sein: China öffnet sich nicht, es verschließt sich und verfolgt mit Nachdruck geostrategische Ziele.


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