Schocktherapie reloaded
Paul Volcker löste Anfang der 80er mit radikalen Zinserhöhungen eine Rezession aus. Was passiert mit Bitcoin als Inflationsabsicherung, wenn es keine Inflation mehr gibt?
“… Got a bum education, double-digit inflation
Can't take the train to the job, there's a strike at the station”
Grandmaster Flash & Furious Five: The Message. 1982
“I knew Paul Volcker. I think he was one of the great public servants of the era — the greatest economic public servant of the era.”
Jerome Powell, Präsident der FED
Willkommen zur 72. Ausgabe von BlingBling!
Zeitgenossen schildern den ehemaligen Chef der amerikanischen Zentralbank, Paul Volcker, als unprätentiös und nicht sonderlich telegen. Mehr so der Haudrauftyp, der trotz seines hohen Amtes und seiner Körpergröße von zwei Metern in Washington nur ein kleines Zimmer mit Tisch und Bett hatte, viel rauchte und immer einen alten Volvo fuhr.
Vielleicht braucht es uneitle Menschen dieser Bauart, um grundlegende, unpopuläre Wandel einzuleiten. Amerika Ende der 70er Jahre schien am Ende zu sein: Der Vietnamkrieg war verloren, Rassenunruhen, Drogensucht und eine Verelendung der Innenstädte bewegten das Land. Die Inflation lag im zweistelligen Bereich. Nachdem Präsident Nixon 1971 die letzten Reste der Goldbindung des US-Dollars beerdigt hatte, begann der US-Dollar immer rasanter an Kaufkraft zu verlieren. Hinzu kam die Ölkrise, die den Preis von einem Barrel Öl von zwei auf 30 Dollar trieb. Gold stieg innerhalb von sieben Jahren von 46 auf über 500 US-Dollar. Die Inflation war so hoch, dass 1978 die Entertainerin Bette Midler für ihre Europa-Tournee darauf bestand, ihr Gehalt in Höhe von 600000 US-Dollar in Form von südafrikanischen Goldmünzen auszahlen zu lassen.
Dann aber kam der Volcker-Schock.
Volcker erhöhte die Zinsen auf 20 Prozent und löste damit eine Rezession aus. Die Kritik an Volckers Entscheidung, mit rabiaten Zinsen die Inflation zu bekämpfen, stieß auf enorme Kritik. Schließlich gingen Unternehmen insolvent, die Arbeitslosigkeit stieg, der Aktienmarkt crashte. 1981 waren elf Prozent der Amerikaner ohne Arbeit. Autohändler sollen aus Protest die Schlüssel unverkaufter Wagen an die FED geschickt haben, Bauern fuhren mit Traktoren vor das Weiße Haus. Die Gesellschaft schien zu brechen. 1982 erschien der erste HipHop-Song, der vielleicht wie kein anderer diese Stimmung einfing, und eine ganze Musikrichtung begründete:
Aber es funktionierte: 1983 war die Inflation gebändigt. Volcker hatte genau das getan, was heute viele Bitcoiner und Goldbugs von den Zentralbanken fordern: Die Geldmenge stabilisieren.
Das große Narrativ, die große Erzählung und Deutung, die die letzten Jahre alles überschattete, war die des zunehmenden Kaufkraftverlustes von US-Dollar und Co aufgrund der massiven Geldmengenausweitung. Das billige Geld trieb die Kurse von riskanten Tech-Unternehmen in irre Höhen und floss auch in Bitcoin. Natürlich gab es hin und wieder kleinere Versuche, die Zinsen anzuheben, und den Märkten Liquidität zu entziehen. Zuletzt geschah das 2018, übrigens dem letzten großen Crypto-Bärenmarkt. Aber das währte meist nicht lange.
Warum auch die Märkte stressen, und am Ende sogar eine Rezession auslösen, wenn die Konsumentenpreis-Inflation niedrig ist? Und nun wissen wir alle - zumindest die Leser von BlingBling - das beim CPI, also bei Inflation getrickst wird, und die Preissteigerungen eigentlich viel höher sind. Würde man noch dazu die Vermögenspreis-Inflation mit einberechnen, also den irren Preisanstieg von Immobilien und Aktien, würde der Kaufkraftverlust des Geldes in den vergangenen zehn Jahren erst so richtig sichtbar werden.
Es ist ein Paradox von Bitcoin, dass das 2009 geschaffene Projekt nie so groß geworden wäre, wenn die Politik der Zentralbanken eine andere gewesen wäre. Bitcoin nährt sich eben genau aus den Tatsachen, die es kritisiert.
Was, wenn sich das jetzt ändert? Zinserhöhungen waren aus Sicht von FED und EZB nicht notwendig, weil die Konsumentenpreis-Inflation niedrig blieb. Auch QE-Programme änderten daran nichts. Jetzt aber ist die Katze aus dem Sack. Alles wird teurer und zwar enorm. In den USA lag die Preissteigerungsrate bei 8,3 Prozent - so hoch wie seit den 70ern nicht mehr - bevor Volcker übernahm.
Und unterstellen wir Zentralbankern bestes Wissen und Gewissen, dann ist es jetzt an der Zeit, alles dafür zu tun, die Inflation einzudämmen. Demnach ist die Zeitwende auf den Finanzmärkten eingeleitet worden: Die amerikanische Zentralbank beendet nach 15 Jahren die Politik des billigen Geldes, und nimmt dafür eine Rezession in Kauf. Jerome Powell gilt übrigens als Bewunderer von Paul Volcker.


Für den Kurs von Bitcoin (aber eigentlich für alle Risk-On-Assets wie Tech-Aktien) heißt das nichts Gutes. Bitcoin ist jung und hat sein kurzes Leben bisher in einer Niedrigzins-Phase verbracht: Immer mehr billiges Geld suchte nach vielversprechenden Anlage-Möglichkeiten. Sollte Powell tatsächlich den Weg Volckers einschlagen, wird das Narrativ “Bitcoin als Inflation-Hedge” bedeutungslos.


Ein paar Worte der Entwarnung: Viele Beobachter sind der Meinung, dass Powell nicht das tun kann, was Volcker getan hat. Dazu sind die Staatsschulden heute zu hoch. Fast alle Regierungen der Welt brauchen derzeit eine leichte Inflation, um die Schulden abzubauen. Hohe Leitzinsen würde auch der Euro wahrscheinlich nicht überleben, da viele Südländer die hohen Schuldendienste nicht stemmen könnte.
Aber das heißt nicht, dass es unmöglich ist.
Sollte Jerome Powell doch noch einknicken, und nicht den Weg Volckers wählen, - auch das ist möglich, da im Herbst in den USA die Midterms-Wahlen anstehen, und die Politik keine Rezession gebrauchen kann - geht die Party der letzten 15 Jahre in die Verlängerung.
Ein schönes Wochenende!
BlingBling ist Ende 2020 als Liebhaber-Projekt gestartet, und zu einem kleinem, feinen, Bitcoin-Medium herangewachsen, das jede Woche von Tausenden gelesen wird. Die Arbeit daran macht mir enorme Freude und beansprucht immer mehr Zeit. Wenn Du das Projekt unterstützen möchtest, kannst Du das am besten mit einem Bezahl-Abo. Es ist jederzeit kündbar und bringt Dir neben viel gutem Karma auch den vollen Zugang zu allen Texten, Interviews, Artikel und Portfolio-Tipps! Du kannst das einfach für sieben Euro einen Monat ausprobieren:
Alternativ kannst Du BlingBling natürlich auch mit Bitcoin unterstützen:
https://ln.bitcoinbeach.com/BlingBling
In neuen Paid-Ausgabe geht es um den Stablecoin Tether und um gute Einstiegskurse für Bitcoin.
Schocktherapie reloaded
Hi, schon wieder so ein gut recherchierter Artikel. Danke!
Vielleicht noch ein Gedanke mit Seitenblick auf die Jacks von Block und Strike. Bitcoin als Asset ist mit Sicherheit gekoppelt an Zentralbankzinsen und andere Assets. Wie sieht es aus, wenn sich Bitcoin als peer to peer Zahlungsnetzwerk in Verbindung mit Lightning durchsetzt? Wenn eine weltweite Netzwerkadaption einsetzt, dann hat Bitcoin 2 Funktionen, einmal als asset und einmal als Basis für ein globales peer to peer Zahlungsnetzwerk. Der buchhalterische Aspekt (triple entry accountability nach Darin Feinstein) kommt dann auch noch dazu.
Nur so ein Gedanke...
Ein schönes Wochenende, Ralph