"Neues Geld treibt die Welt voran"
Literatur-Kritiker Ijoma Mangold hat ein Buch über Bitcoin geschrieben. "Die Orange Pille" will Bitcoin ins Bildungsbürgertum bringen
Liebe Abonnenten,
Ijoma Mangold ist eigentlich Literaturkritiker, aber vor drei Jahren ereilte ihn ein Bitcoin-Erweckungserlebnis. (BlingBling-Leser kennen ihn spätestens von einem Gespräch vom vergangenen Jahr, das es hier nachzulesen gibt.)
Seitdem wird er nicht müde, die Bitcoin-Szene zu intellektualisieren und die Intellektuellen zur “orangepillen”. Gerade ist sein Buch “Die Orange Pille” erschienen.
Dein Buch scheint zu richtigen Zeit zu kommen: Eine neue Bankenkrise wie zur Geburt von Bitcoin. Geht das Zeitalter von Bitcoin jetzt erst richtig los?
Auf jeden Fall mache ich die erfreuliche Erfahrung, dass es nach dem Bank Run auf die SVB einfacher geworden ist, Leuten die Plausibilität von Bitcoin zu erläutern. Hätte ich vor zwei Monaten versucht zu erklären, weshalb Fractional Reserve Banking ein so problematisches Unterfangen ist, hätte ich Kopfschütteln geerntet. Jetzt wird vielen Leuten klar, dass die Gier der Banker als Erklärung nicht mehr ausreicht. Jeder Menschen ist gierig, ich auch. Aber die Ereignisse um die Silicon Valley Bank haben etwas mit dem systematischen Konstrukt unseres Bankensystems zu tun. Nicht jeder muss daraus ja den Schluss ziehen, dass Bitcoin die Lösung ist. Aber zu einer gemeinsamen Problemanalyse zu kommen, ist ja auch schon mal ein erster Schritt. Auch CBDCs, die wir Bitcoiner zu Recht fürchten, sind eine Antwort darauf. Oder Vollgeld. Und so entsteht zumindest eine spannende Diskussion.
Es scheint eine lang erwartete Brücke zu schlagen: nämlich die in die Mitte der Gesellschaft. War das das Ziel?
Ich habe natürlich auch gehofft, auf das Interesse vieler Bitcoiner zu stoßen. Aber mein „imaginierter Leser“ beim Schreiben war tatsächlich ein skeptischer Bildungsbürger, der stets allergisch reagiert, wenn es um Geld geht - der mich aber gleichzeitig als Literaturkritiker einer bürgerlichen Zeitung kennt und deshalb vertraut: Wenn der Mangold, der mich sonst durch die Welt der Buchneuerscheinungen führt, über Bitcoin spricht, dann höre ich mir das zumindest mal an. Und ich meinerseits will diesen imaginierten Leser gar nicht unbedingt überzeugen, in Bitcoin zu investieren, sondern ich will ihn auf diese gewaltige Transformation aufmerksam machen. Als ein Gegenstand des Nachdenkens. Jeder, der an der Gegenwart interessiert ist - und so stelle ich mir ja meinen „imaginierten Leser“ vor -, kommt an dem Thema Bitcoin nicht vorbei.
Du schreibst ja auch, dass man dort „die Nase rümpft“. Woran liegt das?
Die Selbstbild des aufgeklärten Bürgers ist schon auch immer die der sittlichen Vervollkommnung. Er sieht sich als Kraft des Guten, der auf einem stabilen sittlichen Fundament Kants kategorischen Imperativ tief inhaliert hat, und an der Verbesserung der Zustände arbeiten möchte. Und er hat den starken Verdacht, für den es einige Indizien gibt, dass Geld an unsere niederen Instinkte appelliert, wo es um Gier und Bereicherung geht. Das halt ich übrigens auch für nicht falsch, nur ist es ein Fehler, das dem Geld an sich zu unterstellen. Es ist stets der Mensch, der sich zum Geld verhält. Geld hat eine lange Historie an Verdammungsgeschichten, also über die verderbliche Wirkung: Das Goldene Kalb, das die Israeliten umtanzen, als Moses mit den Zehn Geboten vom Berg Sinai zurückkommt, König Midas, der sich wünscht, dass alles, was er anfasst, zu Gold wird, bis er droht zu verhungern und zu verdursten.
Dieses Buch soll eine Brücke bauen in die bürgerliche Welt, aus der ich selbst komme. Ich weiß, dass man dort die Nase über den Bitcoin rümpft, weil man grundsätzlich alles, was mit etwas steilerer Rendite verbunden ist, als vulgär ablehnt.
Die andere Seite des Geldes, die ich viel interessanter finde, ist die des Kommunikationsmittels. Geld heißt auch Austausch, Handel, Wandel. Ich glaube sehr an diese liberale Erzählung. Wie Simmel sagte: Erst durch die Erfindung des Geldes ist ein Handel zwischen Fremden möglich. Man muss sich nicht mehr vertrauen, weil man stattdessen dem Wert der Goldmünze vertraut. Davor trieb man nur Handel mit den Leuten des eigenen Stammes, weil die auch später noch zu einem Gegendienst zur Stelle waren. Geld ist auch eine starke Kraft der Mobilität. Die Erfindung der Geldwirtschaft im Spätmittelalter beschleunigt den Niedergang des Feudalismus: Soziale Mobilität wird nun möglich. An die Stelle der Herkunft wird die Leistung gesetzt. Und besonders in Europa hat sich als Gegenbewegung auch ein Ressentiment durchgesetzt: Wir lehnen neues Geld gern ab. Der Parvenü ist Motiv vieler Gesellschaftsromane und schneidet oft nicht gut ab. Altes Geld dagegen genießt einen besseren Ruf, weil es als veredelt gilt. Dabei ist es neues Geld, das die Welt vorantreibt.
Wirklich ist nur, was der Staat garantiert – so unser Bauchgefühl, das noch ganz im Bann Hegels steht, für den der Staat die Wirklichkeit der sittlichen Idee war.
Gerade in der Linken ist die Skepsis noch größer. Links, rechts, libertär, liberal, Umweltsau: Was ist Bitcoin denn nun? Liegt das alles bei uns?
Ich würde schon zunächst festhalten, dass es wie jede Technologie neutral ist. Die Auswirkungen dieser Technologie zahlen aber auf jeden Fall mehr auf der Seite des Individualismus und der Eigenverantwortung ein. Bitcoin depotenziert staatliche Institutionen. Denn bisher konnte das Geldmonopol des Staates mangels Alternativen nicht angegriffen werden. Nun kann man aus diesem Fiat-System aussteigen. Und das ist doch im Rahmen einer „Konkurrenz belebt das Geschäft“-Idee erstmal sehr positiv. Es gibt sogar Vermutungen, dass die Zinserhöhungen der FED auch ein Versuch sind, sich dieses lästigen Konkurrenten Bitcoin zu entledigen. Das hat auch funktioniert: Die Zinserhöhungen waren ein heftiger Stoß für den Kurs von Bitcoin.
Ist Bitcoin also progressiv?
Progressiv ist immer, was mehr Möglichkeiten schafft, und damit zu mehr Gewaltenteilung führt. Wenn es keine Alternativen zum Fiat-Geld gibt, haben wir ein Klumpenrisiko, und das schafft schlechte Anreize für diejenigen, die dieses System verwalten.
Kurz: Es ist ganz schön viel Druck im Kessel, und manchmal fühle ich mich von dieser Überdosis Weltanschauung regelrecht erschlagen und frage mich, ob diese ganzen starken Überzeugungen meiner seelischen Gesundheit eigentlich zuträglich sind.
Noch nie hat Geld eine eigene Subkultur herausgebildet wie Bitcoin: Wie empfindest Du die Szene und wie hat sie sich entwickelt?
Anfangs waren mir diese anonymen Wesen etwas unheimlich: Sie hatten viel Energie, hatten anscheinend unendlich viel Zeit, um auf Twitter jede Falschaussage zu korrigieren. Als ich noch nach und nach mehr Bitcoiner kennenlernte, unter anderem auch Dich, merkte ich, wie heterogen diese Szene eigentlich ist. Das verbindende Element ist das Interesse an Geld und die Faszination für Bitcoin. Im Sinne des Gesellschaftsromans müsste man die vielen Schichten der Bitcoin-Begeisterten schildern:
Ursprünglich ist Bitcoin aus der Cypherpunk-Bewegung entstanden, mit einem starken anarchistischen Einschlag. Es gibt die Programmierer, verkörpert im Nerd. Aber je weiter die Bitcoin-Adoption voranschreitet, desto breiter wird auch das gesellschaftliche Profil der Bitcoiner. In den USA zum Beispiel ist die libertäre Komponente sehr stark, manche sind gewiss auch Rechtslibertäre, die es in Deutschland kaum gibt, da Europa leider nie eine libertäre Tradition herausgebildet hat. In Deutschland dagegen bezeichnen sich viele Bitcoiner als Linke. Im Gegensatz zu den Mainstream-Linken glauben sie aber nicht mehr, dass diese Public-Private-Partnership zwischen Banken und Zentralbanken ein Instrument der Gerechtigkeit ist. Die Bitcoin-Linken haben erkannt, dass dieses Fiat-System zur Ungleichverteilung der Vermögen führt. Und vor dem Cantillon-Effekt kann man wirklich nicht die Augen verschließen. Billiges Geld ist gut für die Reichen, nicht für die Armen.
Stichwort Skepsis: Was hat sich seit der Abgabe des Manuskripts bei Dir verändert hinsichtlich Bitcoin?
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