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Innovation oder Weg in die totale Überwachung?
Central Bank Digital Currencies, kurz CBDCs, kommen. Auf was wir uns einstellen müssen - und was wir tun können. Ein nüchterner Blick auf das neue Geld
In other words, central banks will take money out of people’s accounts to conduct monetary policy.
The real danger in CBDCs is that there is no limit to the level of control that the government could exert over people if money is purely electronic and provided directly by the government. A CBDC would give federal officials full control over the money going into–and coming out of–every person’s account.
Central Bank Digital Currencies and Freedom Are Incompatible
(Dieser Text erschien zuvor in leicht veränderter Form in anderen Medien.)
Ralf Wintergerst hat eine Vision. „Stellen Sie sich vor“, sagt der schlanke, sportliche Manager in seinem Büro im Münchener Osten. „Sie sind auf dem Weg zum Flughafen. Sie verlassen morgens Ihr Haus und bis Sie in einen Flieger steigen läuft alles automatisch, ohne auch nur ein einziges Mal ein Dokument herzeigen zu müssen. Sie checken auf der Couch ein, steigen in die Sbahn, und passieren die Passkontrolle am Flughafen, ohne irgendwas berühren zu müssen.“ Biometrische Daten würrden auf der Reise von Scannern automatisch ausgelesen. Und bezahlt wird all das mit digitalen Euros, die der Reisende in seinem Wallet trägt, sogenannten Central Bank Digital Currencies, kurz CBDCs.
Der 60-Jährige Wintergerst ist CEO von Giesecke+Devrient. Das Münchener Unternehmen ist eine Art deutscher Hidden Champion: Wenig bekannt, aber Weltmarktführer. Das Kerngeschäft der Münchener ist Geld. Jahrzehnte lang druckte G+D nicht nur die Banknoten für Deutschland, sondern für zahlreiche andere Länder. Doch das Unternehmen hat sich längst angepasst und ist heute führend bei so ziemlich allem, was Digitalisierung, digitale Identität, digitale Gesundheitsakten, digitales Geld und digitales Bezahlen betrifft. Und gerade da, glauben viele, findet gerade eine lautlose Revolution statt. Und noch ein paar andere sind der Meinung, dass CBDCs geradewegs in die digitale Dystopie führen: Die totale Kontrolle aller Finanztransaktionen und eine manipulative Geldpolitik der Regierungen.
Um all das zu verstehen, ist ein kurzer Ausflug in die Geldgeschichte notwendig. Zwar sind die Theorien über die Entstehung von Geld mannigfaltig. Doch einigen können sich die meisten Forscher und Theoretiker darauf, dass es in den vergangenen zwei Jahrtausenden vor allem Münzgeld war, worauf es ankam. Gold, und zu geringerem Maße auch Silber hatte Wert - darauf konnten sich die meisten Menschen einigen. Einen König oder Staat, der den Wert des Geldes garantierte, brauchte es dazu nicht. Im Hochmittelalter kam dann das sogenannte Buchgeld hinzu. Um den Fernhandel zu erleichtern, stellten sich Bankhäuser Wechsel aus, die dann oft nur in der Buchhaltung auftauchten. Später, so im 18. Jahrhundert, gab dann eine Zentralbank Papiergeld aus, das damals noch mit Gold gedeckt war. Seit 1971 entsteht Geld vor allem durch Kredite der Banken. Wer sich zum Beispiel bei der Bank Geld leiht, um eine Immobilie zu kaufen, trägt zur Geldschöpfung bei. Die Bank nämlich drückt dann nämlich einen Knopf und das Geld wird geschaffen. Aus dem Nichts. Das funktioniert tatsächlich so, und deswegen spricht man auch von „Fiat“-Geld, vom lateinischen Wort „es werde“. Genauso geschieht es bei wirtschaftlicher Aktivität. Jedes Unternehmen, das sich bei der Hausbank Geld leiht, trägt zur Ausweitung der Geldmenge bei. Diese Form macht derzeit rund 85 Prozent der gesamten Geldmenge aus. Die Zentralbank hat darauf nur noch wenig Einfluss. Sie kann nur den Preis des Geldes über die Leitzinsen steuern. Aber auch das funktioniert immer schlechter.
Joseph Huber ist Geldtheoretiker und emeritierter Professor für Wirtschaftssoziologie an der Universität Halle. Seiner Meinung nach dienen CBDCs vor allem dazu, denn Zentralbanken wieder mehr Steuerungsmöglichkeiten in die Hand zu geben. „Zu 90 Prozent zahlen wir heute über Konto-Guthaben, und das ist kein Zentralbank-Geld mehr“, sagt er. „Wenn Bargeld verschwindet und dazu Kryptowährungen kommen, dann ist die Zentralbank als Währungshüterin quasi überflüssig geworden. Deswegen müssen diese nun nachziehen.“
Wie wäre es also, wenn es digitales, direkt von der Zentralbank ausgegebenes Geld gäbe? Digitales Zentralbankgeld, auf Englisch „Central Bank Digital Money“, kurz „CBDC“. Jeder Bürger hätte eine sogenannte Wallet direkt bei der Europäischen Zentralbank, und diese könnte wieder voll Einfluss auf die Geldschöpfung nehmen. Im Extrem-Szenario wären Geschäftsbanken dann sogar überflüssig.
Derzeit forschen gerade alle nennenswerten Zentralbanken dieser Welt an CBDCs. Pilotprojekte laufen derzeit in China, Nigeria und auf den Bahamas. Am weitesten fortgeschritten ist das Projekt in China - rund sechs Millionen Menschen haben dort schon mit dem e-yuan gezahlt.
Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern können CBDCs Milliarden Menschen helfen, ein Bankkonto zu haben und so am wirtschaftlichen Leben teilzunehmen. „Banking the Unbanked“, heißt dieses Motto. „Da geht es vor allem darum, Menschen, die kein Bankkonto haben, eine Teilhabe am wirtschaftlichen und digitalen Leben zu ermöglichen - und das mit Geld, das wertstabil und fälschungssicher ist“, so Ralf Wintergerst von Giesecke+Devrient.
Die Europäische Zentralbank will die zweijährige Implementierungsphase 2024 starten, so dass die ersten digitalen Euros bereits 2026 zu haben sein werden - allerdings komplementär zu allen bereits bestehenden Geldformen.
CBDCs sind auch programmierbares Geld. Sie ermöglichen eine Feinsteuerung wirtschaftlicher Prozesse. Als während der Covid-Pandemie und den Lockdowns viele Amerikaner in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerieten, griff die amerikanische Regierung 2020 zu einem plumpen Hilfsmittel: Helikopter-Geld. Jeder Amerikaner bekam einen Scheck in Höhe von 1000 US-Dollar - egal ob bedürftig oder nicht. Und die, die es nicht so dringend brauchten, investierten das Geld sofort in den Aktienmarkt und lösten eine gewaltigen Boom aus. CBDCs hätte man so programmieren können, dass die 1000 digitale Dollar nur zum Kauf von Lebensmittel hätten verwendet werden können. Und wenn eine Regierung der Meinung ist, elektronisch betriebene Lastenräder sollten im Gegensatz zu Benzinern gefördert werden - warum nicht jedem Bürger ein paar hundert Euro zukommen lassen, die nur für ein Lastenrad ausgegeben werden können?
Und schließlich könnten Bürger mit CBDCs der schleichenden Geldentwertung voll ausgesetzt sein: CBDCs ermöglichen auch Negativzinsen. Digitales Geld bekäme dann sozusagen ein Verfallsdatum. Deflationäre Tendenzen, wo Menschen viel sparen, in der Hoffnung, das Geld steige im Wert, gehörten dann der Vergangenheit an. Mit Verfallsdatum programmiertes Geld kann nicht gespart und muss quasi ausgegeben werden - um die Wirtschaft zu stimulieren.
„Zentralbanken waren in den vergangenen 20 Jahren sehr besorgt darüber, dass sie am unteren Ende der Leitzinsen angekommen waren. Digitale Währungen erlauben die komplette Überwachung von Kriminellen und gleichzeitig die Einführung von Negativzinsen,“, fasst Kristoffer Mousten Hansen das zusammen. Er ist Ökonom und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig.


Und jetzt kommen wir auch zur dystopischen Seite von CBDCs. All das mache nämlich nur Sinn unter einer Voraussetzung: „Ich tue mir schwer, den Nutzen von CBDCs zu sehen, so lange es noch Bargeld gibt“, sagt Hansen. Seiner Meinung nach ebnen CBDCs den Weg in die digitale Überwachung. Einerseits nämlich wären dann alle Finanztransaktionen erstmals an einer Stelle gespeichert. Eine Regierung könnte, sofern sie Zugriff auf diese Daten bekommt, einem Kriminellen oder einem Dissidenten einfach die Wallet sperren, und ihn so vom Zahlungsverkehr abschneiden. Auch Abstufungen sind denkbar: Wer seine Pflichtimpfung nicht abholt, dem wird der Kauf von Flugtickets verwehrt. Schließlich werden die Wallets auch mit einer digitalen Identität verknüpft - wenn die Fluchtwege via Bargeld und Bitcoin geschlossen werden.
Große Kritik an CBDCs kommt deswegen auch aus der Bitcoin-Szene. Das dezentrale Netzwerk steht dem Gedanken von CBDCs diametral gegenüber. Bitcoin ist in seiner absoluten Menge auf 21 Millionen begrenzt, und so aufgebaut, dass Zahlungen nicht zensierbar sind. Ironie der Geschichte: Erst die Entwicklung von Bitcoin hat die Zentralbanken der Welt wach gerüttelt und unter Zugzwang gesetzt. Bitcoin schuf ein mysteriöser Programmierer namens Satoshi Nakamoto im Jahr 2009 - als Antwort auf die große Finanzkrise. Freies, unzensierbares und in seiner absoluten Menge begrenztes Geld sollte einen Gegenpol zum Fiat-Geld bilden, deren Menge Zentralbanken in den vergangenen Jahren beständig ausgeweitet haben.


Ein noch größerer Schock war der Versuch Mark Zuckerbergs, 2019 eine eigene Digitalwährung namens Libra zu etablieren. Die US-Aufsichtsbehörden erteilten dem Projekt eine Absage. Aber seitdem steht die Möglichkeit einer privaten, digitalen Währung im Raum, die einer staatlichen Konkurrenz macht. Bitcoin-Fans ist auch diese ein Gräuel. Da Geld, das von einer zentralen Stelle, sei es ein Staat oder ein Unternehmen, kontrolliert wird, immer auch anfällig für Manipulationen ist, bleibt ein dezentrales Netzwerk die einzige Alternative. Sie fordern wie zum Beispiel Analyst und Publizist Tuur Demester in seinem 2019 erschienenen Report „The Bitcoin Reformation“ deswegen nichts weniger als die Trennung von Staat und Geld - in Anlehnung an die Umwälzungen im 16. Jahrhundert, die zur Trennung von Staat und Kirche führten.


Eine digitale Zentralbankwährung wäre demnach ein Schritt in die entgegengesetzte Richtung: Mehr Staat, mehr Kontrolle, mehr Möglichkeiten zur Manipulation. Auf Twitter und anderen Medien laufen meist anonyme Accounts massenhaft Sturm gegen CBDCs. Ein verlorener Kampf?


„Ich glaube nicht, dass man die Entwicklung noch aufhalten kann“, sagt Hansen. Als entscheidend sieht er allerdings ein Bitcoin- und Bargeld-Verbot. Denn so lange Alternativen zu den staatlichen Digital-Währungen existieren, könnten diese ihr Kontroll-Potenzial auch nicht entfalten. Wer Bargeld besitzt, dem können Negativzinsen egal sein. „Zwar heißt es immer wieder, man wolle Bargeld nicht abschaffen. Aber man sollte diesen Fall durchdenken, und sich das als Bürger vielleicht irgendwie garantieren lassen.“ Denn erst ohne Bargeld und Bitcoin würden CBDCs zu einer digitalen Dystopie werden.
Oder sind all dies nur apokalyptische Visionen in einer an apokalyptischen Visionen nicht armen Zeit? Noch gruseliger wird es schließlich, wenn man CBDCs, digitale Identität mit einem Sozialkreditsystem verknüpft. So geisterte jüngst ein Artikel durchs Netz, wonach die Städte Bologna und Wien mit solchen Bonus-Punkten für klimafreundliches Verhalten experimentieren.
Tatsächlich rückt man derzeit selbst im kontrollwütigen Peking wieder vom Sozialkreditsystem ab - zu umständlich und schwer zu implementieren. Bei Giesecke + Devrient erteilt man solchen Ideen auch eine klare Absage: „ Ich sehe solche Entwicklungen höchst kritisch, und glaube nicht, dass es erstrebenswert ist, Verhalten digital zu bewerten. Unsere Firma arbeiten auch nicht an solchen Projekten“, sagt Wintergerst.
Und überhaupt - ob der digitale Euro sich etabliert, darüber würden die Bürger entscheiden. „Der digitale Euro muss sich beweisen, damit er seinen Nutzen demonstrieren kann, und die Menschen ihn akzeptieren. Eine zentrale Auf-Oktroyierung wird es nicht geben.“ Der digitale Euro wird komplementär sein, er wird weder Bargeld noch jetzige digitale Bezahlvorgänge ersetzen.“ Die Entwicklung des digitalen Euro sieht er eher „als Plattform für Digitalisierungsvorhaben in der Euro-Zone“.
Und auch die Frage der finanziellen Privatsphäre halten Befürworter von CBDCs bei genauer Betrachtung für eine alte. „Alles was bargeldlos läuft, lässt sich theoretisch auch heute schon überwachen. Und gleichzeitig kann kein System der Welt alles überwachen, was vor sich geht“, sagt Geldtheoretiker Joseph Huber.
Ob CBDCs nun die digitale Überwachung durch die Hintertür anschieben, oder ob daraus eher eine Totgeburt der Zentralbanken wird, die sich durch Bitcoin und Stablecoins unter Druck gesetzt fühlen, weiß derzeit niemand. Tatsache ist nur, dass sie spätestens bis Ende des Jahrzehnts da sein werden. Aufhalten lassen sich Innovationen ohnehin meist nicht. Nötig aber wäre eine breitere gesellschaftliche Debatte darüber. Und vielleicht wie Hansen es empfiehlt, eine Bargeld-Garantie für den Bürger.