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Die größte Bubble ever
Der chinesische Immobilienkonzern Evergrande geht pleite. Das und ein gerade erschienenes Buch erzählen viel über das angebliche Wirtschaftswunder Chinas
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2012 war für China und die Welt ein entscheidendes Jahr. Ich war gerade in Shanghai angekommen, und konnte die Ereignisse damals in ihrer Tragweite nicht ganz verstehen. Wie die meisten Ausländer war ich vor allem damit beschäftigt, im chinesischen Alltag zurecht zu kommen, beziehungsweise die Bars und Restaurants abzuklappern. China kann unglaublich grau und trostlos sein, und doch war die französische Konzession damals einer der buntesten Orte der Welt. Ein internationales Dorf, in dem jeder jeden kennenlernen wollte. Der Lebensstil der meisten Expats war höher als in ihren Heimatländern: Dicke Housing Allowances, Chauffeur und Kinderfrau gehörten für viele zum Standard (zu meinem nicht). Aber schon damals war klar: Wirklich reich waren nicht die Ausländer, sondern die rote Aristokratie, die ihre Verbindungen zu den Kadern der Kommunistischen Partei richtig spielten.
Was hinter den Kulissen der kommunistischen Partei geschah, begriff ohnehin niemand. Die Partei hat 90 Millionen Mitglieder und ist streng hermetisch organisiert. Nichts dringt nach außen, was nicht kommuniziert werden soll. Umso erstaunlicher war es, dass drei Ereignisse, Berichte mit erheblicher Sprengkraft, es in die internationale Presse schafften.
Im März 2012 wurde der Parteisekretär Bo Xilai gestürzt. Seine Frau hatte ihren Geschäftspartner, den Briten Neil Heywood, vergiftet. Die Sache flog auf und sein Konkurrent, der heutige Staatspräsident Xi Jinping, ließ Bo verhaften und zu lebenslanger Haft verurteilen.
Im Juni darauf legten Recherchen des Magazins Bloomberg nahe, dass die Familie von Xi Jinping ein Milliarden-Vermögen angehäuft hatte
Im Oktober 2012 folgt die New York Times eine Geschichte über das Milliarden-Vermögen der Frau des amtierenden Premierministers Wen Jiabao.
Ein gerade erschienenes Buch bringt diese Ereignisse in einen Zusammenhang. Und wenn man nur ein China-Buch in seinem Leben lesen will, dann würde ich es sagen, es ist „Red Roulette“ von Desmond Shum.
Der Autor erzählt seine Biographie, den irren Aufstieg im boomenden China von entwürdigender Armut zu einem der reichsten Menschen der Welt. All das wäre nicht möglich ohne seine Frau Whitney, die 2017 von Parteikadern gekidnappt wird. Shum hört bis kurz vor der Veröffentlichung des Buch nichts von ihr. Im August meldet sie sich schließlich, und bittet ihn, das Buch auf keinen Fall zu veröffentlichen.
Shum wird 1966 in Shanghai geboren. Die Familie teilt sich ein Zimmer in einem alten Kolonialhaus, in dem die Kommunisten wiederum noch drei weitere Familien einquartiert haben. In den Achtzigern gelingt es der Familie, nach Hongkong zu emigrieren. Weil Shum ein hervorragender Schwimmer ist, erhält er Stipendien auf Elite-Schulen und kann später sogar in den USA studieren. Ein amerikanisches Unternehmen schickt ihn in den Neunzigern nach Peking. Es ist eine wilde Zeit: Das Regime ist offiziell nach den Tiananmen-Massaker 1989 noch immer geächtet, trotzdem strömen Milliarden von ausländischen Kapital in den Markt. Gut vernetzte Kader vergeben Staatsaufträge an Unternehmen, die wiederum ihren Familienangehörigen gehören. Die Gewinne sind gigantisch. Shum lernt seine Frau Whitney kennen, die das Spiel mit den Beziehungen, „Guanxi“, perfekt beherrscht. Die wiederum ist befreundet mit der Frau des Premierministers Wen Jiabao, “Tante Zhang”. Zusammen investieren sie in den Bau des Frachtflughafens von Peking. Die Gewinne sind astronomisch. Mitte der Nuller Jahre gehört das Paar zu den reichsten Menschen des Landes, und Shum schildert Korruption immensen Ausmaßes: Ohne Beziehungen zu den höchsten Mitgliedern der kommunistischen Partei funktioniert nichts. Wer sich aber im inneren Zirkel der Macht aufhält, reist mit Privatjets, speist für 1000$ zu Mittag und schüttet so viel Rotwein der Marke Chateau Rothschild La Fite in sich hinein, bis er kotzt.

Währenddessen machen deutsche Autokonzerne Kotaus in Peking, um ein weiteres Joint-Venture mit einem chinesischen Staatsunternehmen gründen zu dürfen (und sich die Technologie absaugen zu lassen). Hightech-Unternehmen aus dem Silicon Valley verlagern ihre Lieferketten nach China. Banken und Versicherungskonzerne wittern das große Geschäft. “Nicht in China zu sein, kann man sich nicht leisten”, heißt es jetzt überall. Die ganze Welt macht sich abhängig von einem Regime, das noch wenige Jahre zuvor Panzer gegen das eigene Volk eingesetzt hatte. Auch, dass Pekings Zahlen als wenig verlässlich gelten und von der KP frisiert werden, ist eigentlich kein Geheimnis. Es interessiert bloß keinen. Hauptsache Number Go Up.


Mehr zum Thema: Ausgabe 31 “Changes Unseen in a Century”
Was gerade von deutschen China-Fans (Autolobby und Merkel) gerne übersehen wird: Der China Boom baut größtenteils auf einem Sektor, und der eignet sich ideal dafür, um Wachstumszahlen nach oben zu frisieren, um noch mehr ausländisches Kapital anzulocken: Die Immobilien-Branche. Bis zu 25 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes werden dem Bausektor zugeschrieben. Konzerne mit besten Verbindungen zur roten Aristokratie kaufen billig Land von Lokalpolitikern und verscherbeln es teuer an chinesische Bürger, oder lassen Ausländer darauf Fabriken bauen. Im manchen Teilen des Landes führt der Boom auch zu gigantischen Fehlallokationen: Es entstehen Geisterstädte. Die Nachfrage nach Wohnraum in den großen Metropolen der Ostküste aber ist real. Dort steigen die Preise immer weiter. Das liegt auch daran, dass die meisten Chinesen kaum andere Anlagemöglichkeiten für ihr Erspartes haben.



2011 fliegt Shum mit dem Gründer des Immobilienkonzerns Evergrande, Xu Jiayin, nach Frankreich - eine Vergnügungsreise, um die “Guanxi” zwischen beiden zu stärken:
"Xu wanted to go to check out a $ 100 million pleasure ship docked off France’s southern coast. The ship belonged to a Hong Kong business mogul (also worth billions). Like David Li, Xu was interested in opening his own private club, but Xu figured that a waterborne establishment would be more secluded than one like David’s on a Beijing side street. Xu envisioned a floating palace to wine and dine officials off China’s coast, away from the prying eyes of China’s anti-corruption cops and its nascent paparazzi. It tells you something about that special time that none of us were floored by the $ 100 million price tag. Dropping this type of money among these jet-setters had become, if not routine, at least not totally out of the ordinary. But when we arrived dockside and saw the vessel, what struck me was the modesty of the decor. For sure, it was a huge boat. To man it, you’d need a dozen cooks, maids, and waiters. But for $ 100 million you’d expect more elegance, dangling chandeliers, and the type of inlaid wood that had mesmerized me on my first ride in a Rolls-Royce with my dad and his boss years ago in Hong Kong. “Is this all you get for one hundred million dollars?” I asked. Needless to say, Xu didn’t buy the boat."
Dies geschah ein Jahr, bevor sich 2012 der Machtkampf um die Parteispitze entschied. Shum schreibt, die Ermordung des britischen Geschäftsmannes nutzt der heutige Präsident Xi Jinping, seinen Rivalen zu diskreditieren. Ihn unterstützt Wen Jiabao. Bos Anhänger in der Partei schlagen zurück und stechen die Informationen über den illegalen angehäuften Reichtum von Wen Jiabaos Frau und Xi Jinpings Familie an westliche Medien durch. Die Website der New York Times ist seitdem in China gesperrt. Bloomberg soll klein beigegeben und sich verpflichtet haben, kein kritisches Material mehr zu veröffentlichen, um weiter Bloomberg-Terminals verkaufen zu dürfen.

Die bevorstehende Pleite von Evergrande ist Auswuchs des von Shum beschriebenen Systems. Der Konzern hat einen Schuldenberg von 300 Milliarden US-Dollar angehäuft, und kann diese nicht bedienen. Möglich war das vor allem durch korrupte Kader, geschmierte Beziehungen und eine durch und durch ruchlose Elite. Dass die Regierung nun gegen Evergrande vorgeht, und eine Kaskade von Unternehmenspleiten riskiert, ist nicht der Ausdruck des Wunsches nach mehr Marktwirtschaft. Es geht um Kontrolle. Shum schreibt, dass sich spätestens mit dem Regierungsantritt von Xi Jinping 2012 der Wind drehte:
"The Communist Party seemed increasingly threatened by entrepreneurs. A segment of society with means was getting more independent. Entrepreneurs like us were pushing for more freedom, more free speech, and in a direction that was less under the Party’s control. The Party was very uncomfortable with us wading into waters that it controlled."
Die Geschichte von Desmond Shum nimmt kein gutes Ende. Die guten Beziehungen von Wen Jiabaos korrupter Frau, Tante Zhang, zum neuen Präsidenten Xi Jinping helfen weder ihr selbst noch Desmond Shum und seiner Frau. Whitney verschwindet 2017 spurlos. Shum vermutet, sie wurde in ein Lager gebracht. Erst kurz vor Veröffentlichung des Buches meldet sich Whitneys Frau telefonisch. Sie bittet ihn, das Buch nicht zu veröffentlichen.
Shum, der einst in den engsten Kreisen der kommunistischen Partei Chinas verkehrte, ist heute einer seiner größten Kritiker. 2015 emigrierte er nach Großbritannien. Den Verlust der Freiheit seiner Heimatstadt Hongkong bedauert er zutiefst.
"What amazes me is that none of us ever came out publicly and said, “This is what I did and it was wrong.” If you think about it, that is deeply troubling—that so many of Hong Kong’s people were selling out the territory’s future and no one felt enough remorse to say, “It’s time to stop.” We were doing China’s bidding purely out of self-interest. But it also tells you how much we feared the Chinese Communist Party and the possible repercussions of saying no and speaking out."
Und wie bei vielen Scams und korrupten Systemen gab und gibt es Menschen, die das schon vor Jahren durchschauten. Darunter die Firma Citron Research 2012, und Guo Wengui, wie Desmond Shum ein weiterer Renegat.

Da aber Guo Wengui zu einem der Vertrauten von China-Basher und Trump-Mastermind Steve Bannon zählt, gehört er in vielen etablierten Medien zur Persona Non Grata und wird mit Missachtung gestraft. Weil er Anfang 2020 darauf hinwies, dass das Virus aus dem Labor in Wuhan stammt, wurde er auf Twitter gesperrt.
Wie es mit Evergrande weitergeht, ist spannend. Das Regime will eine geordnete Insolvenz, um den überhitzten Immobilienmarkt abzukühlen. Allerdings gehören Chinas Unternehmensschulden zu den größten und intransparentesten der Welt. Ist das nächste aus China kommende Virus eine Schuldenkrise? Dagegen spricht, dass das chinesische Finanzsystem weitaus weniger global vernetzt ist als zum Beispiel das amerikanische. Auch der Schuldenberg von Evergrande ist mit 300 Milliarden “nur” halb so groß wie der von Lehman 2008. Die Folgen für das globale Finanzsystem müssen also nicht zwangsläufig groß sein. Es hängt davon ab, was in den kommenden Tagen noch ans Tageslicht kommt und wann die chinesische Regierung einspringt. Im Gegensatz zu freien Marktwirtschaften hat der Staat wenig bis keine Hemmungen, Unternehmen mit Geld zu unterstützen. Wenn Moral keine Rolle spielt, was kümmert dann ein “Moral Hazard”?
Ein schönes Wochenende!
PS: Tether hat explizit verneint, Anleihen von Evergrande zu halten. Die Frage aber bleibt weiterhin, woher die 40 Milliarden “Commercial Papers” stammen.


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