Der Wert von allem
Die Europäische Zentralbank spricht Bitcoin und allen Kryptowährungen ihren Wert ab. Warum aber hat der Euro eigentlich Wert? Eine kurze Geschichte des Geldes
“My very humble assessment is that it is worth nothing. It is based on nothing. There is no underlying asset to act as an anchor of safety.”
The U.S. would “buy oil from Saudi Arabia and provide the kingdom military aid and equipment. In return, the Saudis would plow billions of their petrodollar revenue back into Treasuries and finance America’s spending.” This was the moment that the U.S. dollar was officially married to oil.
Alex Gladstein: Uncovering the Hidden Costs of the Petrodollar
It had to have certain functional properties, such as the security of being wearable on the person, compactness for hiding or burial, and unforgeable costliness. That costliness must have been verifiable by the recipient of the transfer – using many of the same skills that collectors use to appraise collectibles today.
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“Meine bescheidene Einschätzung kommt zu dem Schluss, dass es nichts wert ist. Es basiert auf nichts. Es gibt keinen zu Grunde liegenden Wert, der als Anker oder Sicherheit dienen könnte”, sagte Christine Lagarde, Präsidenten der Europäischen Zentralbank, diese Woche. Sie bezog sich auf Kryptowährungen im Allgemeinen, ohne dabei einen Unterschied zwischen Bitcoin und Shitcoins zu machen.
Die naheliegende Frage, die sich Lagardes Äußerung aufdrängt, lautet: Wenn Bitcoin nichts wert ist, warum ist der Euro eigentlich etwas wert?
Liegt es am Material, aus dem die Münzen bestehen? Die meisten Menschen lernen im Kindesalter, dass eine Zwei-Euro-Münze nicht das Metall wert ist, aus dem sie gemacht ist - geschweige denn Geldscheine das Papier. Geld hat seinen Gebrauchs- oder Materialwert schon lange hinter sich gelassen, und sich davon abstrahiert.
Warum bemessen wir Geld, das wir täglich benutzen, einen Wert zu? Wie kommt es, dass diese Abstraktion gelingt, und nicht längst kollabiert ist?
Es gibt verschiedene Theorien, wie Geld entstanden ist. Die gängigste ist die, dass es irgendwann den Tauschhandel erleichterte. Menschen, die mühsam Teile eines erlegten Büffels gegen ein Stück Stoff tauschen wollten, konnten mit Geld die Transaktion genauer, leichter und präziser vollziehen. Geld in Form von Muscheln und Perlen war zudem haltbarer - es konnte gelagert werden.
Nick Szabo, ein wichtiger Pionier von Bitcoin und Cypherpunk, hat dies in seinem Aufsatz „Shelling Out“ beschrieben, wie sich Geld langsam aus Sammlerstücken mit Bedeutung entwickelte:
Primitive money was not modern money as we know it. It took on some of the functions modern money now performs, but its form was that of heirlooms, jewelry, and other collectibles.
Der Vollständigkeit halber sei noch David Graeber erwähnt, der einen anderen Ansatz wählt. Der 2019 verstorbene Autor geht davon aus, dass eine Art kommunitaristische Lebensform zuerst da war, und Geld vor allem die Verbriefung von Schulden in Machtstrukturen war.
In fact, our standard account of monetary history is precisely backwards. We did not begin with barter, discover money, and then eventually develop credit systems. It happened precisely the other way around.
Nach Argentarius ist Geld übrigens die erste Form von Kredit.

Aber kommen wir zurück zur gängigsten Theorie über die Entstehung von Geld: Die Erleichterung des Austausches von Waren und dem Werterhalt über einen längeren Zeitraum. Gutes Geld erfüllt demnach folgende Kriterien:
Beständigkeit - wir erwarten von Geld, dass es nicht “schlecht wird oder verdirbt
Transportfähigkeit - je leichter Geld von einem Ort zu einem anderen bewegt werden kann, desto besser eignet es sich
Teilbarkeit - wir gehen davon aus, dass wir einen Hundert Euro (anders als eine Kuh) jederzeit in kleinere Einheiten zerlegen können.
Einheitlichkeit - jeder 100-Euro-Schein ist genauso viel wert wie jeder andere 100-Euro-Schein
Seltenheit - Geld muss durch Arbeit verdient werden, es liegt nicht einfach herum.
Akzeptanz - Geld wird innerhalb einer Gesellschaft als Zahlungsmittel angenommen.
Über Jahrhunderte hinweg dominierte in nahezu allen Kulturen Gold als Tauschmittel, weil es diese Kriterien bestmöglich erfüllte. Das Metall ist nicht nur in vielen Religionen mit mystischer Bedeutung aufgeladen, und als Schmuck beliebt. Es ist auch extrem selten.
Gold aber hat gegenüber Papiergeld einen gravierenden Nachteil: Es ist schwer, und sein Transport über lange Strecken aufwendig und teuer. Auch ist es längst nicht so leicht teilbar: Es muss geschmolzen werden, damit es in kleinere Einheiten portioniert werden kann. Was den Punkt Seltenheit betrifft, ist es unserem aktuellem Geld überlegen. Aber zunächst weiter in der Entwicklung des Geldes:
Das heutige Papiergeld entstand auch, um dieses Problem zu beheben.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich deshalb der „Goldstandard“ - ein nahezu global akzeptiertes Zahlungssystem mit stabiler Werterhaltung. Banknoten wurden auf Basis der Goldreserven ausgegeben. Der Gold-Kurs war fest, der letzte stabile Anker, um den sich alles drehte. Damit waren auch die Wechselkurse zwischen den Staaten fix. Was Regierungen unter dem Goldstandard nicht möglich war: Die Kaufkraft der eigenen Währung durch Inflation schwächen (und sich auf Kosten der Bürger entschulden). Auch konnten Rezessionen auch nicht mit mehr Geld weggedruckt werden.
Dieses System, in dem Papiernoten den Besitz von Gold repräsentierten, hatte mit Unterbrechungen und Lücken bis 1971 bestand.
1971 beendete Richard Nixon die letzten Reste des Goldstandards und begründete das, was heute als „Fiat-System“ bekannt ist. Das lateinische Wort „Fiat“ bedeutet „es werde“, weil in diesem System es Zentralbanken möglich ist, theoretisch unbegrenzt Geld zu schaffen.
Es ist gewissermaßen die höchste Abstraktionsstufe von Geld. Euro, Dollar und Yuan beruhen auf nichts mehr als auf dem Vertrauen. Das Problem der vergangenen Jahre: Das Kriterium “Seltenheit” wurde massiv aufgeweicht. Nicht nur, dass der Wirtschaftskreislauf mit gewaltigen Mengen Geld geflutet wurde - es wurde auch ungleich verteilt. Wer näher an der Quelle saß, bekam schneller neues Fiat-Geld, bevor es an Kaufkraft verlor. Das ist der sogenannte Cantillon-Effekt.
Dieses Vertrauen muss wenn nötig mit Gewalt aufrecht erhalten werden. Das ist der Grund, weshalb das von Nixon begründete Fiat-System relativ zeitnah mit dem Petro-Dollar-System gekoppelt wurde. Militärische Macht und Erdöl, sollen das Vertrauen in den US-Dollar garantieren. Weil Öl überall auf der Welt mit US-Dollar bezahlt werden musste, und Öl der Basisgrundstoff der modernen Zivilisation ist, benötigte jeder Staat auf der Welt Dollar - mehr als die USA drucken konnten.
Diktatorisch Vertrauen herzustellen, oder einer Währung abzusprechen, hat meist keine nachhaltige Wirkung. Vertrauen ist im Fluss, es aufzubauen, braucht Zeit. Es zu zerstören, geht meist sehr schnell. Ein Vertrauensverlust in eine Leit-Währung äußert sich oft in Hyperinflation und kommt historisch alle 80 bis 100 Jahre vor.
Dies zeigt hoffentlich auch die Sinnlosigkeit der Aussage von Lagarde. Geld, das alle Kriterien erfüllt, braucht keinen äußeren Anker: Es hat automatisch intrinsischen Wert, wenn es die beschriebenen Eigenschaften besitzt. Fehlen eine oder mehrere dieser Eigenschaften, oder entsteht ein Medium, das diese Eigenschaften besser erfüllt, verliert es nach und nach an Akzeptanz. Oft ist es das Kriterium Seltenheit, das verloren geht, weil Regierungen dazu neigen, ihren steigenden Finanzbedarf über Inflation zu decken.
Hier noch eine leicht modifizierte Kriterien-Liste der Eigenschaften von Geld:
Um realistisch zu bleiben: Bitcoin erfüllt noch nicht alle Eigenschaften von Geld besser als Fiat-Währungen. Das große Versprechen von Bitcoin ist, dass es dies in Zukunft tun wird. Die globale Monetarisierung des dezentralen Netzwerks ist die vielleicht größte Wette dieses Jahrzehnts.
Je realistischer dieser Anspruch wird, desto mehr wird sich das etablierte System dagegen wehren - zunächst verbal, und mit Konkurrenzprodukten wie digitalen Zentralbankwährungen (CBDCs), später zunehmend mit Verboten und Gewalt. Noch vor zwei Jahren hätte es die Präsidentin der Europäischen Zentralbank nicht für notwendig erachtet, Bitcoin überhaupt zu erwähnen.
Ein schönes Wochenende!
Weiterführende Literatur:
Nick Szabo: Shelling Out - The Origins of Money
Vijay Bojapathi: The Bullish Case for Bitcoin
The History of Money - from Barter to Bitcoin
David Graeber: Schulden - die ersten 5000 Jahre
Argentarius: Vom Gelde
Alex Gladstein: Uncovering the Hidden Costs of the Petrodollar
Ray Dalio: Principles for Dealing with the Changing World Order
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