Der Amazon-Prime-Schock
Die Inflation erreicht die Mittelschicht. Was die Ursachen des Preisanstiegs sind, und was nicht.
Ich war an diesem Tage schon in Westerland, Hunderte und Aberhunderte Kurgäste badeten heiter am Strand. Wieder spielte eine Musikkapelle wie an jenem Tage, da Franz Ferdinands Ermordung gemeldet wurde, vor sorglos sommerlichen Menschen, als wie weiße Sturmvögel die Zeitungsausträger über die Promenade stürmten: »Walther Rathenau ermordet!« Eine Panik brach aus, und sie erschütterte das ganze Reich. Mit einem Ruck stürzte die Mark, und es gab kein Halten mehr, ehe nicht die phantastischen Irrsinnszahlen von Billionen erreicht waren. Nun erst begann der wahre Hexensabbat von Inflation, gegen den unsere österreichische mit ihrer doch schon absurden Relation von 1 zu 15 000 nur ein armseliges Kinderspiel gewesen. Sie zu erzählen mit ihren Einzelheiten, ihren Unglaublichkeiten würde ein Buch fordern, und dieses Buch würde auf die Menschen von heute wie ein Märchen wirken. (…)
Jeder, der nur lesen und schreiben konnte, handelte und spekulierte, verdiente und hatte dabei das geheime Gefühl, daß sie alle sich betrogen und betrogen wurden von einer verborgenen Hand, die dieses Chaos sehr wissentlich inszenierte, um den Staat von seinen Schulden und Verpflichtungen zu befreien.
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Am Dienstag diese Woche ist die Inflation in der Mittelschicht angekommen. Millionen von Menschen, denen der Preis von Butter und Dosenravioli relativ egal ist, weil sie im Supermarkt das einkaufen, was sie immer einkaufen, und für die es keinen Unterschied macht, ob der Einkauf 57,20 Euro oder 65,70 Euro kostet, liefen grün an vor Wut, als sie eine Email von Amazon Prime lasen.
Ab dem 15. September 2022 erhöht sich die Gebühr der Prime-Mitgliedschaft von 7,99€ auf 8,99€ (inkl. MwSt.) bei monatlicher Zahlung und von 69,00€ auf 89,90€ (inkl. MwSt.) bei jährlicher Zahlung.
Auf Twitter kündigten selbst Menschen, die sich mit den Mechanismen von Inflation auskennen, aus Protest ihr Abo.


Die Erhöhung des Amazon Prime Abos ist ein Meilenstein in der Wahrnehmung der 2022er-Inflation, weil Inflation immer die Mittelschicht am stärksten betrifft. Im unteren Drittel der Gesellschaft sind Ersparnisse kaum vorhanden, können also auch nicht weginflationiert werden. Die oberen zehn Prozent nehmen die Botschaften von Politikern meistens nicht so ernst und kennen die Schleichwege und Umfahrungsstraßen der Geldpolitik gut genug, um ihr Vermögen zu schützen. Die Mittelschicht dagegen verliert deutlich.
Und es ist gewöhnlich die Mittelschicht, die Politiker in ihren Reden adressieren. Die ist wahlentscheidend. Besonders in Deutschland hat man sich darauf festgelegt, dass die Schuldigen am Preisanstieg im Ausland zu suchen sind: In diesem Fall Putin.

Ist das wirklich so?
Prinzipiell ist es nichts Neues: Inflation wird von den Regierenden immer gern auf äußere Faktoren geschoben, anstatt die eigenen Fehler einzugestehen. Der türkische Präsident Erdogan gibt seit Jahren Spekulanten die Schuld am Währungsverfall und Inflation. Auch während der Hyperinflation 1923 in Weimar schob man die Geldentwertung auf die Siegermächte und deren Reparationsforderungen. Dass sich nebenbei der Staat auf Kosten der Mittelschicht entschuldete, die man nur wenige Jahre zuvor gedrängt hatte, ihre Ersparnisse in Kriegsanleihen zu stecken, war nur wenigen bewusst.
Ebenfalls nicht neu ist es, Konzernen die Schuld zu geben. US-Präsident Biden forderte Öl-Konzerne jüngst dazu auf, einfach weniger Geld zu verlangen.

In den 1920er Jahren sprach man noch von Wucher:


Zahlende Abonnenten, erhalten heute nochmals das Interview mit Frank Stocker über die Inflation von 1923 zugeschickt. Es ist erstaunlich, wie aktuell sich das Gespräch heute liest, das BlingBling mit ihm im Oktober 2021 geführt hat.
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Man muss nun kein Hardcore-Fan der Österreichischen Schule sein, um zu erkennen, dass dies Unsinn eine unterkomplexe Darstellung der Kausal-Ursachen ist. Die derzeitige Inflation hat vier Ursachen. Die größte und bei weitem wichtigste ist hausgemacht. Es wurde einfach zu viel Geld “gedruckt”.
I. Billiges Geld
Nachdem man im Frühjahr 2020 eine globale Rezession befürchtete, drehten die Zentralbanken nahezu der gesamten Welt die Geldschleusen auf. Was im April 2020 begann, war nur das Grande Finale einer Geldorgie, die mit kurzen Unterbrechungen seit 2008 im Gang war. Superniedrige Zinsen und Quantitative Easing bedeutete immer mehr Geld im System. Das zeigte sich bis vor kurzem nur bei Vermögenswerten: Immobilien, Aktien und Kryptowährungen stiegen immer weiter.


Irgendwann aber cashten die Leute aus. Aus Buchgewinnen wurden Realgewinne und das Geld floss mit dem Ende der Lockdowns eben nicht mehr nur in Aktien und Shitcoins, sondern in Reisen, Restaurant-Besuche und Rolex-Uhren. Die Geldschwemme kommt in der Realwirtschaft an, die Preise steigen.


II. Lockdowns und gestörte Lieferketten
Noch immer ist es vielen Beobachtern ein Rätsel, was genau die kommunistische Partei in China mit ihren Lockdowns bezweckt. Tatsache aber ist, dass die ständigen Ausgangssperren den globalen Warenfluss hemmen. Weil wichtige Einzelteile fehlen, steigen die Preise. Man sieht das derzeit gut an den gestiegenen Preisen für Gebrauchtwagen. Weil die Wartezeiten aufgrund der gestörten Lieferketten so lange sind, kaufen die Leute mehr Gebrauchtwagen. Dieser preistreibende Effekt wird vorübergehen, sobald China seine Politik ändert.

III. Putin
Die Sanktionen gegen das Regime Putins beinhalten einen Import-Stopp von diversen Rohstoffen, die zum Beispiel für die Herstellung von Düngemittel wichtig sind. Auch Erdöl fällt darunter. Da sich den Sanktionen gegen Russland aber nur die westliche Welt angeschlossen hat, erreichen diese Rohstoffe über Umwege trotzdem den Weltmarkt. Staaten wie China und Indien erhalten sie gegenüber dem Westen einfach mit einem Discount. Der globale preistreibende Effekt ist vorhanden, aber geringer, als ihn die meisten Politiker darstellen.
IV. ESG und zu wenige Investitionen
Energie, in Form von Gas und Öl, ist die Input-Größe in alles. Steigt der Preis von Öl, reagieren darauf früher oder später die Preise fast aller Güter. Erst wenn günstige Alternativen zu fossilen Energieträgern gefunden sind, kann eine Energiewende gelingen, ohne dass es zu Preissteigerungen kommt. Wenn Unternehmen durch ESG-Verordnungen und Public Shaming gegängelt werden, gehen die Investitionen in Exploration und Raffinerien zurück. Öl wird knapp und steigt so im Preis. Der Anstieg von Erdöl begann weit vor Putins Invasion.
Es muss im Übrigen nicht so kommen, wie Stefan Zweig die 1920er Jahre beschreibt. Der Ölpreis wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr so stark steigen wie in den vergangenen Monaten. Und wenn Politiker der populären Forderung nach mehr Geld und höheren Löhnen nicht nachgeben, dürfte die Inflation im kommenden Jahre wieder sinken. Wenn.
Ein schönes Wochenende!
PS: Lasst Euch nicht verarschen, lest Stefan Zweig.
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Und noch eine Frage: