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Der Amazon-Prime-Schock

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Der Amazon-Prime-Schock

Die Inflation erreicht die Mittelschicht. Was die Ursachen des Preisanstiegs sind, und was nicht.

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Jul 29, 2022
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Der Amazon-Prime-Schock

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Ich war an diesem Tage schon in Westerland, Hunderte und Aberhunderte Kurgäste badeten heiter am Strand. Wieder spielte eine Musikkapelle wie an jenem Tage, da Franz Ferdinands Ermordung gemeldet wurde, vor sorglos sommerlichen Menschen, als wie weiße Sturmvögel die Zeitungsausträger über die Promenade stürmten: »Walther Rathenau ermordet!« Eine Panik brach aus, und sie erschütterte das ganze Reich. Mit einem Ruck stürzte die Mark, und es gab kein Halten mehr, ehe nicht die phantastischen Irrsinnszahlen von Billionen erreicht waren. Nun erst begann der wahre Hexensabbat von Inflation, gegen den unsere österreichische mit ihrer doch schon absurden Relation von 1 zu 15 000 nur ein armseliges Kinderspiel gewesen. Sie zu erzählen mit ihren Einzelheiten, ihren Unglaublichkeiten würde ein Buch fordern, und dieses Buch würde auf die Menschen von heute wie ein Märchen wirken. (…)

Jeder, der nur lesen und schreiben konnte, handelte und spekulierte, verdiente und hatte dabei das geheime Gefühl, daß sie alle sich betrogen und betrogen wurden von einer verborgenen Hand, die dieses Chaos sehr wissentlich inszenierte, um den Staat von seinen Schulden und Verpflichtungen zu befreien.

Stefan Zweig “Die Welt von gestern”

Willkommen zur neuen Ausgabe von BlingBling!

Am Dienstag diese Woche ist die Inflation in der Mittelschicht angekommen. Millionen von Menschen, denen der Preis von Butter und Dosenravioli relativ egal ist, weil sie im Supermarkt das einkaufen, was sie immer einkaufen, und für die es keinen Unterschied macht, ob der Einkauf 57,20 Euro oder 65,70 Euro kostet, liefen grün an vor Wut, als sie eine Email von Amazon Prime lasen.

Ab dem 15. September 2022 erhöht sich die Gebühr der Prime-Mitgliedschaft von 7,99€ auf 8,99€ (inkl. MwSt.) bei monatlicher Zahlung und von 69,00€ auf 89,90€ (inkl. MwSt.) bei jährlicher Zahlung.

Auf Twitter kündigten selbst Menschen, die sich mit den Mechanismen von Inflation auskennen, aus Protest ihr Abo.

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Jochen Siegert @jochensiegert
Amazon erhöht Preis für #AmazonPrime um +30% (Jahrespreis) bzw +12% (Monatspreis) und begründet das mit „Inflation“ (aktuell in DE 7,6%). Zeit zu sparen wo alles teurer wird -> Kündigung meines Jahresabos ✅
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7:33 AM ∙ Jul 26, 2022
33Likes1Retweet

Die Erhöhung des Amazon Prime Abos ist ein Meilenstein in der Wahrnehmung der 2022er-Inflation, weil Inflation immer die Mittelschicht am stärksten betrifft. Im unteren Drittel der Gesellschaft sind Ersparnisse kaum vorhanden, können also auch nicht weginflationiert werden. Die oberen zehn Prozent nehmen die Botschaften von Politikern meistens nicht so ernst und kennen die Schleichwege und Umfahrungsstraßen der Geldpolitik gut genug, um ihr Vermögen zu schützen. Die Mittelschicht dagegen verliert deutlich. 

Und es ist gewöhnlich die Mittelschicht, die Politiker in ihren Reden adressieren. Die ist wahlentscheidend. Besonders in Deutschland hat man sich darauf festgelegt, dass die Schuldigen am Preisanstieg im Ausland zu suchen sind: In diesem Fall Putin.

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Andreas Audretsch @AnAudretsch
#Putin nutzt fossile Preistreiberei zur Destabilisierung. Darum brauchts beides: 1. #Entlastung: Jetzt gezielte finanzielle Hilfe für Menschen mit wenig Geld. 2. #Energiewende: #NordStream2 muss dauerhaft vom Netz. Nur Erneuerbare bringen #Unabhängigkeit. #Energiepreise #Habeck
4:09 PM ∙ Feb 22, 2022
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Ist das wirklich so?

Prinzipiell ist es nichts Neues: Inflation wird von den Regierenden immer gern auf äußere Faktoren geschoben, anstatt die eigenen Fehler einzugestehen. Der türkische Präsident Erdogan gibt seit Jahren Spekulanten die Schuld am Währungsverfall und Inflation. Auch während der Hyperinflation 1923 in Weimar schob man die Geldentwertung auf die Siegermächte und deren Reparationsforderungen. Dass sich nebenbei der Staat auf Kosten der Mittelschicht entschuldete, die man nur wenige Jahre zuvor gedrängt hatte, ihre Ersparnisse in Kriegsanleihen zu stecken, war nur wenigen bewusst.

Ebenfalls nicht neu ist es, Konzernen die Schuld zu geben. US-Präsident Biden forderte Öl-Konzerne jüngst dazu auf, einfach weniger Geld zu verlangen. 

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President Biden @POTUS
My message to the companies running gas stations and setting prices at the pump is simple: this is a time of war and global peril. Bring down the price you are charging at the pump to reflect the cost you’re paying for the product. And do it now.
4:00 PM ∙ Jul 2, 2022
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In den 1920er Jahren sprach man noch von Wucher:

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Die Inflation von 1923 @inflation1923
29. Oktober 1921: Reichskanzler Wirth hält vor den Landtagswahlen in Baden eine Rede in Karlsruhe. „Eine Welle des Wuchers geht durch das deutsche Volk“, sagt er in Bezug auf immer schneller steigenden Preise. Die neue Regierung werde den Kampf gegen den Wucher aufnehmen.
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4:56 AM ∙ Oct 29, 2021
35Likes6Retweets


Zahlende Abonnenten, erhalten heute nochmals das Interview mit Frank Stocker über die Inflation von 1923 zugeschickt. Es ist erstaunlich, wie aktuell sich das Gespräch heute liest, das BlingBling mit ihm im Oktober 2021 geführt hat.

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Die Inflation von 1923
Bitcoin: 60623$ Gold: 1794$ Willkommen zur 44. Ausgabe von BlingBling! Vor ein paar Wochen tauchte auf Twitter ein Account namens Die Inflation von 1923 auf. Untertitel: Die Inflation von 1923 - Der Weg in die größte deutsche Geldkatastrophe | Täglicher Bericht über Preise vor 100 Jahren und Ereignisse, die die Inflation trieben…
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a year ago · 3 likes · BlingBling

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Man muss nun kein Hardcore-Fan der Österreichischen Schule sein, um zu erkennen, dass dies Unsinn eine unterkomplexe Darstellung der Kausal-Ursachen ist. Die derzeitige Inflation hat vier Ursachen. Die größte und bei weitem wichtigste ist hausgemacht. Es wurde einfach zu viel Geld “gedruckt”.

I. Billiges Geld

Nachdem man im Frühjahr 2020 eine globale Rezession befürchtete, drehten die Zentralbanken nahezu der gesamten Welt die Geldschleusen auf. Was im April 2020 begann, war nur das Grande Finale einer Geldorgie, die mit kurzen Unterbrechungen seit 2008 im Gang war. Superniedrige Zinsen und Quantitative Easing bedeutete immer mehr Geld im System. Das zeigte sich bis vor kurzem nur bei Vermögenswerten: Immobilien, Aktien und Kryptowährungen stiegen immer weiter.

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Holger Zschaepitz @Schuldensuehner
Good morning from #Germany, where the housing bubble is losing some air: Europace German House Price Index dropped 0.3% in May, most since April 2020 as mortgage rates have tripled since January and the #ECB has also announced that it will end its bond-buying program by end-June.
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9:43 AM ∙ Jun 17, 2022
349Likes126Retweets

Irgendwann aber cashten die Leute aus. Aus Buchgewinnen wurden Realgewinne und das Geld floss mit dem Ende der Lockdowns eben nicht mehr nur in Aktien und Shitcoins, sondern in Reisen, Restaurant-Besuche und Rolex-Uhren. Die Geldschwemme kommt in der Realwirtschaft an, die Preise steigen. 

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Holger Zschaepitz @Schuldensuehner
Rental-Car prices hit travelers around Europe. Car-hire rates have almost tripled in Italy since 2019. We experienced our own horror in Sicily w/@easyJet rental car agency. Because I did not have my credit card PIN w/me, we were charged an extra €524. bloomberg.com/news/articles/…
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7:03 AM ∙ Jul 17, 2022
428Likes88Retweets

II. Lockdowns und gestörte Lieferketten

Noch immer ist es vielen Beobachtern ein Rätsel, was genau die kommunistische Partei in China mit ihren Lockdowns bezweckt. Tatsache aber ist, dass die ständigen Ausgangssperren den globalen Warenfluss hemmen. Weil wichtige Einzelteile fehlen, steigen die Preise. Man sieht das derzeit gut an den gestiegenen Preisen für Gebrauchtwagen. Weil die Wartezeiten aufgrund der gestörten Lieferketten so lange sind, kaufen die Leute mehr Gebrauchtwagen. Dieser preistreibende Effekt wird vorübergehen, sobald China seine Politik ändert. 

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Philipp Mattheis @PhilippMattheis
‘Weil Flipflops und Smartphones billiger wurden, fiel der Kaufkraftverlust eines Euro oder Dollar nicht so auf. Man sagt deswegen auch: #China exportiert Deflation.’ Chinas stiller Krieg - den ganzen Text für zahlende Abonnenten von BlingBling👇🇨🇳 blingbling.substack.com/p/chinas-still…
blingbling.substack.comChinas stiller KriegLockdowns, gestörte Lieferketten, billiges russisches Öl - wie China jahrzehntelang Deflation exportierte, und jetzt die Inflation anheizt.
7:21 AM ∙ Jul 11, 2022
18Likes5Retweets

III. Putin

Die Sanktionen gegen das Regime Putins beinhalten einen Import-Stopp von diversen Rohstoffen, die zum Beispiel für die Herstellung von Düngemittel wichtig sind. Auch Erdöl fällt darunter. Da sich den Sanktionen gegen Russland aber nur die westliche Welt angeschlossen hat, erreichen diese Rohstoffe über Umwege trotzdem den Weltmarkt. Staaten wie China und Indien erhalten sie gegenüber dem Westen einfach mit einem Discount. Der globale preistreibende Effekt ist vorhanden, aber geringer, als ihn die meisten Politiker darstellen. 

IV. ESG und zu wenige Investitionen

Energie, in Form von Gas und Öl, ist die Input-Größe in alles. Steigt der Preis von Öl, reagieren darauf früher oder später die Preise fast aller Güter. Erst wenn günstige Alternativen zu fossilen Energieträgern gefunden sind, kann eine Energiewende gelingen, ohne dass es zu Preissteigerungen kommt. Wenn Unternehmen durch ESG-Verordnungen und Public Shaming gegängelt werden, gehen die Investitionen in Exploration und Raffinerien zurück. Öl wird knapp und steigt so im Preis. Der Anstieg von Erdöl begann weit vor Putins Invasion.

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Holger Zschaepitz @Schuldensuehner
#ECB's Lagarde: 3/4 of ECB forecast error down to energy prices.
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1:13 PM ∙ Jun 9, 2022
170Likes44Retweets

Es muss im Übrigen nicht so kommen, wie Stefan Zweig die 1920er Jahre beschreibt. Der Ölpreis wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr so stark steigen wie in den vergangenen Monaten. Und wenn Politiker der populären Forderung nach mehr Geld und höheren Löhnen nicht nachgeben, dürfte die Inflation im kommenden Jahre wieder sinken. Wenn.

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Frank Schäffler @f_schaeffler
Inflation ist Betrug des Staates an seinen Bürgern.
9:01 PM ∙ Jul 28, 2022
775Likes67Retweets

Ein schönes Wochenende! 

PS: Lasst Euch nicht verarschen, lest Stefan Zweig.

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