Deconstructing Bitcoin (Narratives)
Die Parolen, was Bitcoin ist und kann, entfernen sich immer weiter von der Realität. Eine Dekonstruktion und drei Vorschläge
Bitcoin: 46987$
Willkommen zur 34. Ausgabe von BlingBling!
Vor 50 Jahren wurde der Goldstandard von Richard Nixon beendet. Seitdem leben wir im Fiat-Zeitalter (vom lat. fiat = “es werde”), in dem Geld aus dem Nichts geschaffen wird. Die Menge des Geldes orientiert sich seitdem an der Wirtschaftsleistung und wird von der Zentralbank des Landes gesteuert. Zumindest in der Theorie. Die meisten Bitcoiner und Gold-Bugs halten das für den Ursprung allen Übels.


BlingBling hat in den vergangenen Wochen ein gewisses Unbehagen empfunden, was den aktuellen Stand der Krypto-Welt betrifft. Christoph Bergman vom BTC-Blog mutmaßte jüngst, dass meine Flitterwochen mit Bitcoin wohl vorbei sein. Das trifft es einerseits, andererseits aber beschäftige ich mit seit 2014 mit Bitcoin und sieben Jahre sind ziemlich lange Flitterwochen. Erkannt habe ich mich auch bei einer Bemerkung von Jonas vom Bitcoin-Verstehen-Podcast gefühlt, der nach dem Verlassen des großen Bitcoin-Treffens in Leipzig (sinngemäß) anmerkte, man fühle sich wie in einer anderen Welt, die irgendwie auch abgehoben sei von der Realität.
In den vergangenen Monaten, und ich würde die Miami-Konferenz als Wendepunkt ansetzen, konnte man ein Auseinanderklaffen der Realität von Bitcoin und dem narrativen Überbau spüren.
An der zugrunde liegenden revolutionären Technologie, die noch immer von viel zu wenigen verstanden wird, hat sich nichts geändert. Aber die Erzählungen darüber, was Bitcoin ist, entfernen sich immer weiter von der Wirklichkeit.
Sätze wie
Zentralbanken sind kriminell
Die Hyperinflation kommt
Bitcoin erlöst uns
werden auf Twitter und in Podcasts in Endlosschleife wiederholt. Um noch mehr Follower aus derselben Confirmation Bubble zu kriegen, überbieten sich Fanboys mit immer groteskeren Aussagen. Damit verlieren die ursprünglichen Aussagen mit der Zeit ihre Wirkung. Anstatt zum Nachdenken anzuregen, werden sie zu Worthülsen und quasi-religiösen Botschaften.
Demetri Kofinas vom Hidden-Forces-Podcast merkte das jüngst in einer Diskussion mit dem Szene-Helden Alex Gladstein an.


Nicht alle Kriege dieser Welt wurden geführt, weil böses Fiat-Geld Menschen dazu verleitete, und anderseits gab es grausame Verbrechen wegen “Sound Money” (Gold).

Gladstein, der auch für die Human Rights Foundation tätig ist, liefert einerseits wertvolle Beiträge dazu, wie Bitcoin in Entwicklungsländern Menschen helfen kann. “Banking the Unbanked” ist eine Tatsache. Rund zwei Milliarden Menschen haben derzeit kein Bankkonto, beziehungsweise werden von Banken nicht als vertrauenswürdig genug erachtet, eines eröffnen zu können - Bitcoin kann dabei helfen, sie am Finanzsystem teilhaben zu lassen. Gladstein weist auch zur Recht daraufhin, dass Kritiker aus einer privilegierten Perspektive argumentieren, wenn sie behaupten, Bitcoin brauche niemand. In der Community, die zuletzt stark unter dem Gefühl litt, “zu den Bösen zu gehören” (Umweltproblematik, Geldwäsche, Lambo-Kult), sind solche Texte Balsam für das eigene Gewissen, und werden von den Szene-Medien abgefeiert.


Der Hype aber täuscht darüber hinweg, dass die Probleme von El Salvador, Kuba, Palästina, der Türkei, dem Libanon oder dem Iran, wesentlich vielschichtiger und vor allem ganz unterschiedlicher Natur sind, als dass einzig und allein ein Bitcoin-Standard sie lösen könnte. (In einer der kommenden BlingBling-Ausgaben wird es um Bitcoin im Nahen Osten gehen, und - Spoiler Alert - dort sind die Effekte des Booms bei genauerem Hinsehen durchaus nicht alle positiv). Und auch El Salvador wird nicht zum gelobten Land, bloß weil der Präsident Bitcoin zum Zahlungsmittel erklärt hat. Bitcoin löst vielleicht viele Probleme, es wird aber wie jede neue Technologie auch neue schaffen.
Richtig ist auch, dass Afghanen, denen es gelungen ist, aus ihrem Land zu fliehen, ihr Vermögen am besten via Bitcoin außer Landes bringen konnten, aber…
In vielen dieser Länder hatten die Menschen seit Jahren die Möglichkeit, ihre Ersparnisse in Gold anzulegen, um sich vor Inflation und staatlichen Zugriff zu schützen - das hat die Probleme dieser Volkswirtschaften auch nicht gelöst. Übrigens: Gold-Fanboys sagen schon länger die Hyperinflation voraus, genauer gesagt seit 1971, und zwar aus denselben Gründen wie heute Bitcoiner. Das ist kein Beweis dafür, dass sie nicht bald kommt, aber könnte darauf hindeuten, dass bis dahin auch nochmals 40 Jahre vergehen können.
Vorschlag: Do your best to kill your idea
Dass Twitter-CEO Jack Dorsey an Bitcoin glaubt, und wahrscheinlich bald eine Lightning-Application auf Twitter anbieten wird, ist großartig. Zu glauben, dass Bitcoin die gespaltene Gesellschaft der USA, und dann die ganze Welt wieder einen wird, zeugt dagegen nicht von besonderer Kenntnis der menschlichen Natur.
Als Heilsbringer verehrt wird auch der CEO von Microstrategy, Michael Saylor, weil er als einer der ersten mit einem börsennotierten Unternehmen Bitcoin kaufte, und bei Kursrücksetzern immer wieder nachlegte. Mit einem Investment von 100000 Bitcoin hat er aus einem Software-Unternehmen ein Bitcoin-Unternehmen gemacht, dessen Überleben jetzt am Kurs eines einzigen Assets hängt.
Saylor (der übrigens in Ende der Neunziger schon einmal 13 Milliarden in den Sand gesetzt hatte, und sich nach Betrugsvorwürfen mit der amerikanischen Börsenaufsicht SEC außergerichtlich einigte, indem er elf Millionen Dollar zahlte) macht in seinen Videos allerdings nicht immer den gesündesten Eindruck.
Ok, bisschen fies. Das Video ist stark bearbeiten worden. Das Original ist aber auch nicht so viel besser:
Als Chef eines börsennotierten Unternehmens alles auf eine Karte zu setzen, ist auch nicht sonderlich smart. Aus Risiko-Diversifizierungsaspekten ist es sogar ziemlich dumm. Niemand weiß, was die Zukunft bringt, egal wie großartig und revolutionär eine Technologie sein mag. Und nein, Satoshi Nakamoto ist nicht Gott, sondern wahrscheinlich ein libertärer Cypherpunk, der heute zu den reichsten Menschen der Welt gehören würde, wenn er denn verkaufen könnte.
Vorschlag: Kill your idols
Bitcoin wurde in den vergangenen Monaten von vielen Medien oft aus den falschen Gründen kritisiert. Dass sich eine unkoordinierte Bewegung mit Argumenten dagegen wehrt, um immer wieder die Technologie zu erklären, ist großartig und verdient Respekt.
Aber guter Journalismus muss weh tun - nur dann bewegt er etwas. Jubelmeldungen verbreiten PR-Abteilungen und Interessengruppen von alleine, dazu braucht es keine Journalisten. In der Bitcoin-Welt hat man sich in den vergangenen Monaten sehr darauf konzentriert, (teils wirklich einfältige) Kritik von außen als FUD abzutun. Blind, oder zumindest einäugig, aber waren viele gegenüber der engen Interessen- und Anreizverflechtungen von Unternehmen, Podcasts-Hosts und Influenzern, der Tether-Problematik, und der Frage, wie Bitcoin grüner werden kann.
Die Arbeit von gut informierten Kritikern wie Bennett Tomlin, Cas Piancey oder Aviv Milner sollte deswegen begrüßt werden - auch wenn man nicht mit allem, was sie sagen, übereinstimmt.


Vorschlag: Love your Critics (zumindest die, die Ahnung haben)
In einem Spekulationsfieber einen klaren Kopf zu behalten, ist für sich schon unglaublich schwierig. Jeder, der die Dotcom-Blase Ende der Neunziger oder die 2017er-Bubble mitgemacht hat, weiß das. Bei Bitcoin kommt zum “Number-Go-Up”-Phänomen noch die elektrisierende Ideologie hinzu, die revolutionäre Ideen immer in sich haben. Und all das trifft auf eine Zeit, in der wir alle zunehmend in unseren Confirmation Bubbles auf Social Media stecken, in der immer dieselbe Botschaft amplifiziert wird, bis jede abweichende Meinung schließlich als gefährlicher Wahnsinn erscheint.
Wenn Erkenntnisse zu Parolen werden, interessante Persönlichkeiten zu Heiligen, und Kritik als Blasphemie angesehen wird, werden revolutionäre Bewegungen zu engstirnigen Sekten. Ihren Zenith haben sie dann meistens überschritten.
All das laute Geplärre und libertäre Weltverbesserungsgeschrei aber hätte die Bitcoin-Bewegung nicht nötig. Die Dinge nehmen ihren Lauf - von ganz alleine.


Schönes Wochenende!
PS:

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Deconstructing Bitcoin (Narratives)
Das Grundproblem ist ganz zu Beginn bereits erwähnt worden. Religion.
Es braucht nicht Gott, Allah oder Jahwe, also keine Gottesvorstellung um Religiöses Empfinden zu erzeugen.
Es braucht eine Idee. So wie die verschiedenen Zivilreligionen der Vergangenheit gezeigt haben. Der Kommunismus zum Beispiel. Bei vielen libertären aus der österreichischen Ecke ist es der Markt.
Das Denken in Narrativen ist eine große Gefahr, denn der Mensch ist ein assoziatives Wesen. Wir lernen etwas und beziehen unsere Erfahrungen dann auf dieses Etwas.
Das führt schnell zu narrativen Denken. Eine Verengung und gerade, wenn diese Idee unter Druck gerät, dann besteht die Gefahr, dass aus dem Narrativ eine Identifikation wird.
Geschieht das, dann ist der Verstand verloren. Denn dann ist es das ich gegen Die.
Die größte Gefahr für den Bitcoin sind die Maximalisten. Nicht, weil sie einen falschen Asset anhängen, sondern weil sie die Vernunft ausblenden und eine Kult zu gründen beginnen, der sich selbst gegen Kritik immunisiert. Selbst wenn diese Kritik angebracht ist.
Irgendwann werden diese Leute genauso erbärmlich aussehen, wie die letzten paar Kommunisten auf dieser Welt.
Wie gesagt, nicht weil der Bitcoin schlecht ist. Die Technologie ist revolutionär. Und ja, auch ich denke, dass Zentralbanken ein Vebrechen sind, weil sie verzerren und eine gute Lösung daher erschweren. Ihre Intervention verdeckt das Problem, indem Symptome bekämpft werden.
Aber das ist nicht die Lösung für alles, wir führen nicht Bitcoin ein und alles ist gelöst. Intrinsisch deflationäres herschaftsfreies Geld wäre ein Teil der Lösung. Vielleicht sogar nur ein Anfang, der es erleichtern würde ein Lösung zu finden. Es ist bei weitem nicht DIE Lösung.
Genau diesen nüchternen Blick jedoch verhindern die Kultisten, der Church of Bitcoin, indem sie sich in eine groteske Parallelwelt hineinsteigern.
In den 70ern gab es die K-Gruppen. Sektenhafte Kommunisten. Sie haben nichts bewegt. Erfolgreiche Veränderung, wurde durch die Realpolitik bewirkt.
Viele Grüße
(Rechtschreibung und Grammatik tun mir leid, dieser Text musste leider schnell entstehen.)