Das Modell
Laut PlanB's Floor-Modell hätte Bitcoin diese Woche bei 98000 US-Dollar stehen müssen. Ist aber nicht so. Und jetzt?
Sie ist ein Model und sie sieht gut aus
Bitcoin: $57025
Gold: 1772$
(Korrektur: In einer älteren Version war Stock-to-Flow-Modell die Rede. Die 98k beziehen sich aber auf eine Variante des S2F-Modells, das “Floor-Modell”. Das ändert nichts an der Grundproblematik der Vorhersage. Aber entscheiden Sie selbst nach dem Lesen des Textes.)
Willkommen zur 49. Ausgabe von BlingBling!
PlanB ist ein anonymer Twitter-Account, der vor zweienhalb Jahren das Stock-2-Flow-Modell vorstellte. Es ist eines der faszinierendsten Modelle der Finanzgeschichte, und es hat einen Bitcoin-Kurs von 98000 US-Dollar für Ende November vorhergesagt. Bitcoin steht derzeit bei 57000 US-Dollar. Ist das Modell also falsch? 100k vorbei? Oder muss man viel mehr sagen: Jetzt mal nicht kleinlich sein, von vierstellig auf 60k ist doch Hammer!


Um die Frage zu beantworten, ob PlanB’s Modell Bullshit ist oder nicht, machen wir einen Ausflug in die Wissenschaftstheorie. Wie wir Blödsinn von Wissen unterscheiden können, beschäftigt Menschen seit tausenden von Jahren. Erst im vergangenen Jahrhundert aber revolutionierte der Philosoph Karl Popper unser Verständnis von Wissenschaft.
Vor Popper beschäftigte immer wieder das Induktionsproblem Philosophen und Wissenschaftler. Wie kann ich von einer begrenzten Menge von Beobachtungen auf eine gesicherte Erkenntnis kommen? Ganz blöd gesagt:
Wenn ich nur weiße Schwäne kenne, woher weiß ich mit Sicherheit, dass die Aussage “Jeder Schwan ist weiß” richtig ist? Es könnte ja ein schwarzer Schwan auftauchen.
Vor Karl Popper war Wissenschaft schwer von Aberglauben und Quacksalberei abzugrenzen. Der in Wien geborene Philosoph jüdischer Abstammung führte ein neue Methode ein, um Bullshit zu erkennen: Das Prinzip der Falsifizierung. Es stellte das Induktionsproblem einfach auf den Kopf. Ein wissenschaftliches Modell müsse sich nicht so ehr daran messen, wie viel korrekte Aussagen es über die Wirklichkeit trifft - es muss im Gegenteil bestimmen, wann es falsch liegt.
„Die Tätigkeit des wissenschaftlichen Forschers besteht darin, Sätze oder Systeme von Sätzen aufzustellen und systematisch zu überprüfen; in den empirischen Wissenschaften sind es insbesondere Hypothesen, Theoriensysteme, die aufgestellt und an der Erfahrung durch Beobachtung und Experiment überprüft werden.“
Karl Popper: “Logik der Forschung”
Um im Beispiel des Schwans zu bleiben, hieße das:
Die Aussage “Jeder Schwan ist weiß” ist korrekt - bis wir einen schwarzen Schwan gefunden haben.
Alles Elfenbeinturm-Gelaber?
Aber nehmen wir den Fall Impfstoff-Entwicklung: Forscher haben die Hypothese “Stoff AB hilft gegen eine Krankheit XY bei geringen Nebenwirkungen”. Die These muss nun getestet werden - und über Bord geworfen werden, wenn sie mit der Wirklichkeit nicht stand hält. Wer sein Mittel trotz falsifizierte Hypothese weiter verkauft, betreibt Quacksalberei.
Noch ein Beispiel aus den Sozialwissenschaften. Popper sympathisierte wie viele seiner Generation Anfang des 20. Jahrhundert mit dem Marxismus. Später wurde er ein erbitterter Gegner. Der Marxismus nimmt für sich Wissenschaftlichkeit in Anspruch und trifft die Aussage:
“Ab einem gewissen Industrialisierungsgrad findet die proletarische Revolution statt.”
Nun war Anfang des 20. Jahrhunderts Großbritannien da am höchsten industrialisierte Land der Welt. Die erste kommunistische Revolution aber fand 1917 im Agrarland Russland statt. Die Theorie war damit eigentlich widerlegt. Bis heute aber halten viele Marxisten an dieser Hypothese fest, anstatt ihre Theorie zu überdenken.
Schließlich ein Beispiel, das gerade auf den Finanzmärkten immer wieder als „wissenschaftlich“ verkauft wird: Der gesamte Finanzmarkt bewegt sich angeblich in einem acht-teiligen Wellenmuster, fünf Impuls- und drei Korrektur-Wellen. Das behauptet die Elliott-Wave-Theorie. Solche Modelle können überhaupt nicht falsifiziert werden, da man immer irgendwie solche Wellen-Muster finden kann.
Was nicht falsifiziert werden kann, ist unwissenschaftlich, und gehört damit eher in den Bereich, wo man auch Astrologie ansiedelt.
Kurzum, wer Wissenschaft machen will, muss wie folgt vorgehen: Hypothese aufstellen, testen, falsifizieren, Hypothese ändern, wieder testen und immer so weiter.
Nach diesem Ausflug schauen wir uns nochmals das Stock-to-Flow-Model von PlanB an. Worum geht es?
“Stock” bezieht sich auf die sich im Umlauf befindliche Menge. Derzeit sind etwas über 18 Millionen Bitcoins geschürft worden. Flow bezeichnet den Teil, der neu hinzukommt. Stock-to-Flow setzt diese beiden Mengen also in Relation. PlanBs Beobachtung ist: Je größer das Verhältnis von beiden Mengen ist, desto höher der Preis. Anders gesagt: Je geringer der Anteil ist, der zu einem bestehenden Lagerbestand hinzukommt, desto wertvoller das Gut. Das Schürfen von Gold ist sehr aufwendig, jedes Jahr werden nur 3000 Tonnen davon abgebaut. Insgesamt befinden sich 185000 Tonnen im Umlauf. Die Stock-2-Flow-Ratio liegt deswegen bei 62. Anders Silber: Jedes Jahr werden 25000 Tonnen gewonnen, die Lagerbestände liegen bei 550000 Tonnen. Die S2F-Ratio beträgt 22. Gold ist deswegen wesentlich mehr Wert als Silber.
Bei Bitcoin kommt nun eine weitere Besonderheit hinzu: Durch das alle vier Jahre stattfindende Halving, das Halbieren der Belohnung, die die Miner für ihre Arbeit erhalten, verringert sich der Flow. Oder anders ausgedrückt: Das Angebot sinkt. Alle vier Jahre kommt es also zu einem veränderten Stock-to-Flow-Verhältnis und deswegen zu rapiden Preissprüngen.

PlanBs Modell ist bestechend schlau und erklärt bisher alle Spekulations-Zyklen von Bitcoin. Was aber ist jetzt davon zu halten, dass Bitcoin sich nicht an die Vorhersagen des Modells gehalten hat?
Tjaaaa…

Nach Karl Poppers wissenschaftstheoretischen Vorgaben ist PlanB’s S2F-Modell diese Woche falsifiziert worden. Bitcoin steht nicht bei 98000 US-Dollar. Es würde für den Verfasser des Modells sprechen, sich das einzugestehen. Leider zieht PlanB es vor, jeden Kritiker auf Twitter zu blocken, so ging es auch BlingBling.
Kritik am S2F-Modell gab es immer wieder. Das Modell berücksichtigt zum Beispiel nur die Angebots-Seite und geht von einer mindestens stabilen Nachfrage nach Bitcoin aus. Es berücksichtigt auch nicht externe Schock-Faktoren wie ein Verbot von Kryptobörsen, eine Tether-Implosion oder eine drastische Zinserhöhung.
Die Wirkmechanismen, die PlanB in seinem Modell beschreibt, sind deswegen nicht ungültig. Es bedarf aber einer Neu-Anpassung. Was bleibt ist die absolut faszinierende Korrelation von dynamischer Seltenheit und Wert.
Und am Ende ist S2F ein Modell, das gut aussieht. Aber die Wirklichkeit ist immer komplexer als jeder Theorie.
Ein schönes Wochenende!
PS:
Und jetzt noch schöne Neuigkeiten in eigener Sache: BlingBling ist auf der Liste der Zukunftsgestalter 2022 vom Magazin Business Punk. Danke! Ich schau bisschen grimmig, aber ihr kennt mich ja.
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