

Discover more from BlingBling
‘Chaos kreiert hohe Preise, hohe Preise führen zu mehr Chaos’
Sind hohe Ölpreise die tiefere Ursache für Putins Krieg? Ein Gespräch mit Rupert Russel, Autor des Buches "Price Wars", über Feedback-Loops auf den Rohstoffmärkten und globale Konflikte.
Willkommen zur 68. Ausgabe von BlingBling!
Sind hohe Ölpreise die tiefere Ursache, weshalb Putin in die Ukraine einmarschiert ist? Der Journalist und Filmemacher Rupert Russel ist Autor des gerade erschienenen Buches Price Wars -How the Commodities Markets Made Our Chaotic World. Darin beschreibt er, wie sich Rohstoffpreise geopolitisch auswirken und Kriege auslösen können. Ein Interview
Dass Dein Buch “Price Wars” unter anderem so lesenswert ist, liegt daran, dass Du zahlreiche Konfliktzonen dieser Welt besucht hast: Den Donbas, Irak, sogar Somalia. Wie haben diese Erfahrungen Deinen Blick auf unser Finanzsystem verändert?
Ich hatte das Gefühl, dorthin reisen zu müssen, um das Chaos auf den Rohstoffmärkten zu verstehen. Es gibt natürlich schon viel Literatur über den Einfluss von Rohstoffpreisen auf Konflikte: Die Nahrungsmittelkrise 2008 war ein Auslöser für den Arabischen Frühling 2010, die Ölpreis-Blase ab 2010 führte zu neuen Konflikten und stieß bis zu 150 Millionen Menschen in die Armut. Ich wollte die Menschen, die darunter leiden, in den Vordergrund stellen. Außerdem gab es da fast schon einen metaphysischen Link vom digitalen Chaos auf den Finanzmärkten zum Chaos in der realen Welt. Und ich meine nicht nur das aktuelle Chaos der Lieferketten, sondern tatsächliches echtes Chaos.


Und manchmal nahmen diese Metaphern sehr reale Formen an. Ein Beispiel: Im Winter 2018 war ich im Donbas auf der russischen Seite, und besuchte einen Bunker mehrere Stockwerke im Untergrund. Da hingen sowjetische Propaganda-Postern aus den 70ern an den Wänden, daneben gab es Pritschen zum Schlafen, ein Elektrokocher, unfassbare Armut eigentlich. Auch das war eine physische Bubble, die mit einer Rohstoff-Bubble, nämlich die der hohen Ölpreise in Verbindung stand. Und es gab noch eine dritte Bubble: Putins Selbstüberschätzung. Als ich diese Orte besuchte, wurde mir klar, wie all das zusammenhängt.
Was war zuerst da? Bist Du an diese Orte gereist, um etwas über Rohstoffpreise herauszufinden, oder warst Du zunächst aus anderen Gründen da?
Ich wusste, dass all diese Orte in irgendeiner Verbindung zu den Rohstoffmärkten stehen. Viele Konflikte, die um das Jahr 2014 entstanden, hatten die Ursache in der Ölpreis-Blase von 2012 bis 2014. Somalia, Ukraine, Venezuela unterschieden sich natürlich sehr, aber sie hatten ein verbindendes Element. Um es mit Warren Buffet zu sagen: Aus finanziellen Massenvernichtungswaffen werden reale Massenvernichtungswaffen. Im Donbas in der Ukraine sieht man Schützengräben wie aus dem Ersten Weltkrieg, in Venezuela grassiert die Hyperinflation. Aber alle hatten gemeinsam ein zersplittertes Leben: Es geht immer weiter, aber es ist fragmentiert. In Venezuela lassen sich viele Frauen sterilisieren, weil sie sich Verhütungsmittel nicht leisten können. In Irak besuchte ich jemand, dessen Nachbar in seinem eigenen Garten verschüttet worden ist. In der Ukraine existiert ein Proto-Staat a la Nordkorea. „Ich fühle mich wie ein Zombie“, sagte mir jemand dort. Und das steht dafür, wie sich viele fühlen in diesen Teilen der Welt.
Dein Buch geht über den Einfluss von Rohstoffpreisen auf globale Konflikte. Kann man es einfach zusammenfassen mit dem Satz “Hohe Energiepreise führen zu Kriegen”?
Man kann die Konfliktlinien zumindest lange zurückverfolgen. In der modernen Welt lässt sich das vielleicht am ehesten bei der Französischen Revolution nachweisen, wo die Brotpreise im Vorfeld der Revolte stark gestiegen waren. In den vergangenen zehn Jahren gibt es mehr quantitative Ansätze, die Nahrungsmittel- und Ölpreise mit Konflikten in Zusammenhang bringen. Das liegt daran, dass es seit dem Jahr 2000 extreme Boom- und Bust-Cycles auf den Rohstoffmärkten gab. Und jetzt treten wir in den dritten ein.


Manche sagen, Rohstoffpreise folgen eben Zyklen. Aber Du argumentierst, dass Preise ihre Signalwirkung verloren haben, weil die “Finanzialisierung” der Realwirtschaft immer weiter fortgeschritten ist. Wie kam es dazu?
Man spricht oft über „Seesaw“-Effekte: Die Nachfrage steigt aus irgendwelchen Gründen, zum Beispiel weile neue Fabriken in Ostasien gebaut werden. Dadurch steigen die Ölpreise. Das sendet ein Signal an die Produzenten, die daraufhin beginnen, mehr Öl zu fördern. Nach einer gewissen Zeit erreicht das erhöhte Angebot den Markt und die Preise pendeln sich wieder ein. Das ist die Standarderklärung für Rohstoffpreise. Ein negativer Feedback-Loop. Ich glaube, diese Erklärung gilt für weite Teile des 20. Jahrhundert. Wenn man die großen Kriege ignoriert, stellt man fest, dass die Preise erstaunlich stabil waren. Besonders angesichts der gewaltigen Veränderungen: Weltkriege, Ölkrise der Golfkrieg. Öl floss immer.
2000 verändert die Clinton-Regierung die Regeln und einige Jahre später sehen wir einen riesigen Anstieg der Rohstoff-Preise. Heute führt jede kleine Wahrnehmungsveränderung des Risikos zu großen Preisschwüngen. 30 Dollar an einem Tag sehen wir oft.

Liegt die erhöhte Volatilität nicht eher an der massiv gestiegenen Geldmenge?
Ich habe diese Frage bewusst ausgeklammert. Mit den Effekten von Quantitative Easing habe ich mich intensiv beschäftigt. Das Programm ist so gewaltig, dass es zu einfach ist, alles darauf zu schieben: Gestiegene Hauspreise, CEO-Gehälter, Inflation. Mein Gefühl war aber, dass es keine direkten Effekte gibt. QE erhöht zwar eine Seite der Bilanzsumme. Aber 2010/2011 war es zum Beispiel sehr schwer, an private Kredite zu kommen. Kredite sind Geld, und so kann man nicht eindeutig sagen, dass dadurch die Inflation anstieg.


Vielleicht floss QE-Geld in die Rohstoffmärkte, vielleicht nicht. Ich konnte einfach keine klaren Belege dafür finden. Eher dürfte es die Angst vor Inflation sein, die Geld in die Rohstoffmärkte fließen lässt. Das erscheint mir plausibler. Rohstoffe sind ein klassischer Schutz vor Inflation.
Nach Deiner These sind es vor allem die Derivate, die zu stärkeren Preisschwüngen führen.
Wobei man unterscheiden muss: Es gibt klassische Future-Kontrakte, mit denen sich Bauern oder Fluggesellschaften gegen Preisschwankungen absichern. In den Neunzigern aber wurden Futures auf Rohstoffe eine Art eigene Vermögensklasse: Auf einmal gab es ETFs, Optionen und es gab Derivate auf Derivate. Ich hatte ein Hintergrundgespräch mit einem Goldman-Sachs-Händler, der versuchte, auf einem Whiteboard mir das zu erklären. Er malte unzählige Pfeile und Kreise darauf und am Ende wusste er selbst nicht, was er erklären wollte. Derivate können interessant sein, aber sie lenken auch ab und führen in ein Rabbit Hole. Sie sind so kompliziert, dass sie eine Debatte schnell beenden. Manches ist auch einfach Marketing. Robert Shiller hatte einen anderen Ansatz, er sagte mir: Diese Händler wollen einen auch verwirren - am Ende ist der Kurs vom Sentiment getrieben, der kollektiven Stimmung. Es ist also einfacher, als man denkt. Und diese Sentiments amplifizieren die Preise.
Dein Buch kam kurz vor Putins Invasion auf den Markt. Haben also hohe Ölpreise Putin zu diesem Schritt verleitet?
Ich fragte mich, als ich 2018 im Donbas war: Warum dauert dieser Krieg noch immer an? Putin wartete einfach auf einen erneuten Anstieg der Rohstoffpreise. Es gab den Supercycle-Boom 2014 und das Geld hatte er ausgegeben. Wenn die Energiepreise niedrig sind, ist es für Europa auch einfacher sich zu diversifizieren. Sind sie hoch, ist man abhängiger. Mit der Pandemie gab es auch Lieferkettenprobleme und Inflation. Bürger und Politiker im Westen reagieren darauf sehr sensibel. Macrons Präsidentschaft war beinahe zu Ende als 2018 die Gelbwesten gegen höhere Spritpreise demonstrierten. Diese Risiken wiederum werden vom Markt eingepreist, die Preise steigen. Chaos kreiert hohe Preise, hohe Preise führen zu mehr Chaos. Alles wird amplifiziert - und davon wiederum profitiert Putin. Das sind reine Marktmechanismen - das Problem ist, dass sie aggressives Verhalten von Autokraten belohnen. Für Putin gaben die hohen Energiepreise grünes Licht für die Invasion. Und jetzt ist eine Kaskade in Gang: Der Krieg führt zu hohen Lebensmittelpreisen, die zu Krisen in Sri Lanka, Pakistan und vielen anderen Ländern führen. Es ist ein negativer Feedback-Loop, der zu einem Jahrzehnt des Chaos führt.


Wie könnte denn eine Lösung aussehen? Preiskontrollen können es wohl nicht sein, oder?
Derzeit gibt es ja Aussichten auf ein neues Bretton-Woods-System. Ich glaube, wenn wir zu einer Art Roosevelt-System zurückkehren würden, verschwände die Volatilität über Nacht aus dem System. Selbst wenn man die Idealbedingungen für Märkte a la Milton Friedman hätte, gibt es keine Garantie dafür, dass sie genug Lebensmittel für die Menschheit produzieren. Es gibt auch keine Garantie gegen Schocks in Form von Kriegen, Klimaveränderungen und anderen Sachen aus der realen Welt.


Das alte Bretton-Woods basierte auf Gold. Keynes war der Meinung, dass ein Basket aus Öl und anderen Rohstoffen auch funktionieren würde. Das könnte die Preise stabilisieren. Dagegen gibt es natürlich viel Widerstand, da Preiskontrollen bei vielen die Köpfe explodieren lassen. Ich würde einwenden, wir haben auch jetzt schon solche Kontrolle in Form von Subventionen. Zentralbanken intervenieren auch, um bestimmte Preise zu stabilisieren. Darüber regen wir uns ja auch nicht auf.
Anhänger der Österreichischen Schule würden entgegnen: Wir haben dysfunktionale Märkte gerade wegen der vielen Interventionen und Kontrollen.
Ich glaube, dieses Argument verliert an Glaubwürdigkeit. Milton Friedman kritisierte in den 70ern die Preiskontrollen und ermutigte Nixon, die Preise steigen zu lassen. Für ihn war OPEC ja das Kartell, das die Preise verzerrte. Interessant aber ist, dass er der Meinung war, der Markt würde über das Kartell siegen. Der hohe Ölpreis würde neue Unternehmen zu Bohrungen veranlassen. Das geschah auch zum Beispiel in der Nordsee. Der Markt signalisierte: Bitte, bohrt nach Öl. Und in den Achtzigern hatte die OPEC einen großen Teil ihrer Macht eingebüßt.
Die große Ironie der neoliberalen Ideologie ist doch, dass die Investment-Banken und Hedgefunds mittlerweile wie sowjetische Kader funktionieren. Wenige Kommissare senden Befehle für die Weltwirtschaft aus. Blackrock verwaltet 20 Trillionen US-Dollar, die amerikanische Wirtschaft ist 24 Trillionen groß.
Bitcoin kommt in Deinem Buch nicht vor. Trotzdem muss man beim Lesen oft daran denken - auch weil es irgendwie zwischen Ware und Währung changiert. Wie siehst Du das?
Der Ursprung von Bitcoin liegt ja in einer Skepsis gegenüber Zentralbanken und Gelddrucken. Es steht für die Suche nach Seltenheit und intrinsischem Wert. Die Ironie ist nur, dass es selbst zu einem Spekulationsobjekt geworden. Mein Buch geht über die Finanzialisierung von Rohstoffen, wie aus physischen Dingen, die man essen oder benutzen kann, fiktionale Derivate werden. Und ich glaube, Bitcoin ist auch ein Beispiel dafür. Es wurde von einem Nutzwert zu einem Tauschwert. Nimm NFTs: Will man sich ein Stück Kunst an die Wand hängen, oder damit handeln? Der Finanzmarktkapitalismus dehnt sich auf immer mehr Lebensbereiche aus.
Es ist ein Spiel im Spiel - wie das Beispiel von Keynes, wo Leser einer Zeitung die Bilder von zwei Frauen gezeigt wurden und die Leser sollten nicht bestimmen, wen sie selbst für am schönsten hielten, sondern raten, wen die anderen Leser für schöner halten würden. Eine Art Spiel im Spiel. Wenn wir immer wieder darüber nachdenken, was andere Leute für wertvoll halten, landen wir irgendwann bei den Bored Apes.
Es ähnelt auch der Idee, wonach Kapitalismus immer neue Ideen produziert, die aber nicht nützlich sind. Welche Probleme lösen Roboter-Hunde?
Sie patroullieren gerade in Shanghaier Lockdown…
Ja, sie finden Anwendungen. Genauso wie Kunst-Gallerien Anwendungen für NFTs finden: Anwälte, Programmierer - das System erhält sich selbst.

Ich würde NFTs und Bitcoin nicht in dieselbe Schublade stecken. Bitcoin kann ja der neue Wertanker werden, nachdem wir alle in einer immer zunehmend finanzialisierten Welt suchen.
Ich glaube, da missversteht man den Begriff „Wert“. Man kann Wert nicht außerhalb einer Gruppe definieren. Jede Religion, jedes Finanzsystem leidet unter diesem Paradox. Gold hat Wert, weil wir ihm Wert zuschreiben. Der Wert von Gold ändert sich wie der von Bitcoin.
Aber doch nur, weil sich die Geldmenge verändert.
Der Wert verändert sich, weil sich unsere Wahrnehmung verändert. Regierungen versuchen ja ständig, ihre Währungen an irgendwas zu koppeln, wie zuletzt Putin den Rubel. Aber man kann den Leuten nur verbieten, Rubel zu verkaufen. Das ist künstlich und kann nur durch Zwang aufrecht erhalten werden. Realität ist durch unseren sozialen Konsens bestimmt. Sozialer Konstruktivismus wird oft missverstanden. Das heißt nicht, dass man aus dem Fenster springen kann, bloß weil alle glauben, dass einem nichts passiert. Aber wir schreiben bestimmten Dingen Wert zu. Und deswegen ist Vertrauen so wichtig. Währungen haben nur so lange Wert, wie die Menschen in dieses Geld vertrauen. Dasselbe gilt für Bitcoin. Wenn Elon Musk das Vertrauen erhöht oder verringert, verändert sich der Preis. Das ist genau, was diese Algo-Trader tun: Sie lesen und quantifizieren das Vertrauen anhand von Tweets zum Beispiel. Religionen oder Staaten versuchen das zu stabilisieren, aber Geschichte zeigt auch, wie fragil das ist. Martin Luther oder Elon Musk können das Vertrauen in eine Währung erschüttern.
Ausgabe 62: …but Bitcoin is money, too
Ausgabe 63: Der Krieg, die Folgen
Paid: Das Geldsystem als Waffe
Paid: BlingBling Doom Doom
Ein schönes Wochenende!
PS:
Wenn Dir die Ausgabe gefallen hat, und Du BlingBling unterstützen möchtest, ist jetzt der beste Zeitpunkt, ein Bezahl-Abo abzuschließen.
Das kostet 7 Euro im Monat oder 70 Euro im Jahr und ist jederzeit kündbar.
Dafür erhältst Du
Podcasts und Interviews in voller Länge
Wöchentliches Updates zu allen wichtigen Entwicklungen
konkrete Tipps zum Investieren
vollen Zugang zum Archiv
Ebenso kannst Du BlingBling auch mit einer Bitcoin-Spende unterstützen, bzw. Dein Abo mit Bitcoin bezahlen. Schreib eine Mail mit einem Screenshot Deiner Transaktion und BlingBling schaltet Dich frei.
https://ln.bitcoinbeach.com/BlingBling
Ansonsten freue ich mich, wenn Du BlingBling an Freunde und Bekannte empfiehlst und 1 Like hier lässt