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"Bitcoin ist noch am Anfang"
Die Ideengeschichte hinter Bitcoin ist komplex und die Wurzeln reichen bis in die Siebziger zurück. Ein neues, schlankes Buch erzählt mehr von den Ursprüngen der Cypherpunks und Kryptographie
Wer im Bären-Markt ein Bitcoin-Buch veröffentlicht, meint es ernst: Raphael Schön war lange Journalist und arbeitet heute bei Relai, einer Schweizer Bitcoin-Firma. Gerade ist sein Buch "Bitcoin. 100 Seiten" im Reclam-Verlag erschienen:
An wen richtet sich das Buch?
Es richtet sich eher an Neulinge. Mein Ziel war, dass sich alle, die sich für Bitcoin interessieren, einen Einblick bekommen. Und gleichzeitig soll das Buch auch eine Idee von der Szene geben. Denn als Außenstehender steht man oft vor zwei Extremen: Etablierte Medien, die sagen, Bitcoin bringe die Ozeane zum Kochen und sei böse, und auf der anderen sagen Leute: Bitcoin ist die Zukunft. Diese Ambivalenz wollte ich abbilden.
Wie war Dein persönlicher Weg ins Rabbit Hole?
Ich habe früher lange als Tech-Journalist gearbeitet. So um 2013-2014 habe ich erstmals von Bitcoin gehört. Richtig ernst nehmen konnte ich es aber zunächst nicht. Damals drehte sich alles vor allem um Silk Road, das Dark Net und die Währung dafür. Als Silk Road dann vom Netz ging, dachte ich mir: Damit muss es jetzt vorbei sein mit Bitcoin. Damals erzählte mir auch ein Freund, dass er Bitcoin auf seinem Gaming-PC mined, und ich dachte mir: Wie unglaublich blöd ist das denn! So richtig faszinierte es mich 2017. Damals ging ich aber zunächst den üblichen Shitcoin-Weg: Ich schürfte Ethereum und kaufte ICO-Tokens. Ich las aber auch einige wichtige Bücher: „Digital Gold“ von Nathaniel Popper beeindruckte mich. In dem Buch geht es sehr viel um die Anfangszeit von Bitcoin: Die Leute um Hal Finney und natürlich die Frage, wer Satoshi Nakamoto war. Das hat mich sehr fasziniert. Und ab 2018 habe ich Bitcoin halbwegs verstanden und mich ab da vorwiegend damit beschäftigt.
Die Cypherpunks nehmen eine recht prominente Rolle ein in Deinem Buch. Was sind die geistigen Wurzeln von Bitcoin?
Die Ursprünge von Bitcoin liegen ja im Endeffekt bei der Entstehung des Internets in den frühen 1970er Jahren. Damals gab es schon Leute, die versuchten, aus dem damaligen ARPA-Net ein dezentrales Netzwerk zu gestalten. Das TCP/IP-Protokoll war aus der Überlegung entstanden, wie man nach einem Nuklear-Angriff der Sowjetunion die Kommunikationskanäle aufrechterhalten könne. Dieses TCP/IP-Protokoll setzte sich durch, und auf dem baut bis heute das Internet und damit auch Bitcoin auf. Bei Bitcoin kommen jetzt noch kryptographische Verfahren hinzu. Und 1976 erschien auch noch von Friedrich Hayek „The Denationalisation of Money“. Man kann also sagen, dass in diesem Jahr sowohl das technologische, als auch das philosophische Fundament für Bitcoin gelegt wurden.
Das ist auch das Spannende an Satoshi Nakamoto: Er hat nicht nur den technischen Kryptographie-Hintergrund, sondern versteht die philosophischen und ökonomischen Theorien von Hayek und der Österreichischen Schule. Diese gedanklichen Vorläufer von Bitcoin - Merkle Trees, DigiCash, Verschlüsselung - sind spannend. Das war unglaublich weitsichtig.
Denn in den Neunzigern und frühen Nuller Jahren herrschte ja eine große Euphorie über die Möglichkeiten des Internets. Die völlige Transparenz wurde idealisiert. Heute weiß man, wie problematisch das ist. Was man in den 1990ern noch als Paranoia eingestuft hätte, wenn es um Überwachung von Individuen durch den Staat und Konzerne ging, ist heute Realität. In den 90ern warnten zwar schon viele vor dem “gläsernen Menschen”, die Mehrheit verklärten das Internet aber zu einer Art Utopia, das mehr Demokratie, mehr Transparenz bei Regierungen bringen könnte.
Den Cypherpunks um Satoshi Nakamoto war damals schon klar, dass diese Transparenz in ein staatliches Überwachungssystem führt, und dass man dem etwas entgegensetzen muss. Die Analysen haben sich als treffend erwiesen.
Die Idee eines dezentralen Netzwerks trifft auf den Gedanken von hartem, in seiner Menge begrenzten Geld.
Ja, wobei das “harte Geld” eher aus der Gold-Ecke kommt. Da gibt es ja viele Parallelen: Obwohl sich Bitcoiner und Gold-Bugs auf Twitter gerne bekämpfen, wollen sie beide ja ein Geld, das nicht von politischer Willkür abhängt, sondern mit der ‘echten Welt’ in Verbindung steht. Bitcoin geht noch einen Schritt weiter: Die Idee eines nicht-staatlichen, öffentlichen Geldes, das sich ohne staatliche Gewalt durchsetzt - einfach, weil es besser ist. Das ist zumindest die Theorie. Dass zum Beispiel El Salvador Bitcoin per Gesetz einführt und sich sein Präsident als großer Visionär inszeniert, widerspricht eigentlich der Grundidee eines neuen Geldes, das sich als Graswurzelbewegung ausbreitet.
Da verstehe ich auch die Bitcoin-Community nicht ganz, die oft El Salvador als Paradebeispiel anführen. Viel repräsentativer für das, was Bitcoin (und auch andere Kryptowährungen) für Menschen tun können, sind Länder wie Venezuela, die Türkei oder Nigeria wo Geldentwertung ständiges Thema ist und in denen die Menschen von sich aus in Bitcoin flüchten.

Wer, glaubst Du, war oder ist Satoshi Nakamoto?
Im Buch stelle ich mehrere Theorien vor. Ich persönlich glaube, es war nicht eine Person, sondern ein Team. Gut möglich, dass sich darunter Personen befanden, die man heute noch in der Szene kennt: Adam Back zum Beispiel, oder Hal Finney, der mittlerweile verstorben ist. Ich glaube nicht, dass es jemand war, der völlig fachfremd war.
Auf jeden Fall, das merkt man ganz deutlich, wenn man sich etwas intensiver damit beschäftigt. Es war ein absolutes Nischenthema, das nur einen kleinen Kreis von Personen begeisterte.
Bitcoin und die Medien sind ein ständiges Spannungsfeld. Bitcoiner fühlen sich stets falsch dargestellt, und tatsächlich gibt es wirklich viele schlechte und tendenziöse Berichte über Bitcoin. Woran glaubst Du, liegt das?
Ich glaube, es ist eine Kombination aus Unwissenheit und Effekthascherei seitens mancher Wissenschaftler. Nimm zum Beispiel Alex de Vries von der Website Digiconomist, die wiederum eng mit der niederländischen Zentralbank verwoben ist: Der veröffentlicht regelmäßig Studien über den horrenden Energieverbrauch von Bitcoin. Die Prognosen bewegen sich allerdings stets auf dem oberen Ende der Skala. Ausnahmslos jede seiner Veröffentlichungen werden in der New York Times oder im Guardian veröffentlicht.
Journalisten wiederum wollen Klicks und effekthascherische Überschriften. Ich will nicht sagen, dass das alles falsch ist. Aber man muss die Zahlen schon genau lesen und einordnen. Das gelingt zum Beispiel beim Cambridge Centre for Alternative Finance wesentlich besser.
Und letztlich muss man auch sagen, dass Bitcoin nicht bloß eine Technologie, sondern vor allem eine Bewegung ist. Wer sich beispielsweise mehr Staat wünscht und noch mehr politische Gestaltungsmöglichkeiten bei Geld - etwa in Form von digitalem Zentralbankgeld nach chinesischem Vorbild -, der muss Bitcoin einfach aus rein ideologischen Gründen bekämpfen. Ein gutes Beispiel dafür ist Yanis Varoufakis: Der sagt ganz offen und fundiert, dass das chinesische Modell super ist, um direkt mit privaten Fintechs und staatenlosem Geld in Konkurrenz zu treten. Diese Offenheit würde ich mir bei mehr Journalisten und Kritikern wünschen.
Mehr von Raphael Schön:


Wie wird sich Bitcoin weiter entwickeln?
Bitcoin steht noch immer am Anfang. Bitcoin ist jetzt zwölf Jahre alt, der Euro 20 Jahre alt, der US-Dollar in seiner jetzigen Form 50 Jahre alt. Nichts ist in Stein gemeißelt.
Nach der FTX-Pleite und den steigenden Zinsen sieht natürlich alles gerade schlecht aus. Aber wenn man sich das große Spiel anschaut, der Niedergang des US-Dollars als Leitwährung, die hohe Verschuldung - Bitcoin ist nach wie vor eine der besten Wetten.
Wenn es Bitcoin in 20 Jahren noch gibt, wird es riesengroß sein. Mittelfristig dürfte es kontrovers bleiben, schon aufgrund des hohen Stromverbrauchs. Gerade auf EU-Ebene wird man versuchen, den Kauf und Verkauf einzuschränken oder zu besteuern, aber das wird das Bitcoin-Netzwerk nicht weiter beeinträchtigen.
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"Bitcoin ist noch am Anfang"
Danke, super Interview!
Danke für das Interview, hat Spaß gemacht!