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Bitcoin ist Hoffnung
Vor über 25 Jahren erschien "The Sovereign Individual" - das Buch ist aktueller denn je.
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Of all the things that might be centralized and nationalized in this poor man’s life, should it really be his money?
Willkommen zur 47. Ausgabe von BlingBling!
Ein paar Buzzwords der aktuellen Bitcoin-Kritik: Umweltverschmutzung, Geldwäsche, Tether, zu hohe Volatilität, Shitcoins und Casino - die Liste ist lang. Manches davon ist gerechtfertigt, vieles von fehlendem Verständnis geprägt. Wenn der Kurs steigt, jubeln alle. Fällt er, reißt die Kette der Kritik nicht ab. Gerade zur Zeit aber ist es wichtig, sich wieder an die revolutionäre Technologie hinter Bitcoin zu erinnern.
Diese Zentralisierung von Macht in Krisenzeiten - sei sie nun temporär oder dauerhaft - ist nichts Neues. Von der Römischen Republik, wo der Senat vorübergehend einem Diktator die Macht übertrug, bis zum “Patriot Act” 2001. Diese aktuellen Krise und Machtausweitung der Exekutive aber geht einher mit einer technologischen Revolution: Noch nie in der Menschheitsgeschichte zuvor waren die technischen Möglichkeiten der Kontrolle so umfassend wie heute.
Eine Blaupause dessen, was prinzipiell möglich ist, spielt sich derzeit in der nordwestchinesischen Provinz Xinjiang ab. 1,5 Millionen Menschen, meist uigurischer Ethnie, werden in Konzentrationslagern gehirngewaschen. Ähnlich wie eine Krankheit begreift die kommunistische Partei Chinas auch falsche Gedanken wie Rückständigkeit und Religiösität als Virus. Die Betroffenen müssen abgesondert, isoliert und umerzogen werden. Wer den monatelangen Alptraum aus Folter und Gehirnwäsche überlebt, findet sich in einem digitalen Alptraum wieder: Kameras mit Gesichtserkennungs-Software überwachen jeden Schritt der „Verdächtigen“. Biometrische Daten jeder Person sind längst zentral gespeichert - zusammen mit einem “Gefährderpotenzial”. Da Bargeld aus dem chinesischen Alltag weitgehend verschwunden ist, und nur noch über die Apps WechatPay und Alipay stattfindet, können auch Transaktionen verhindert und Vermögen beschlagnahmt werden. Freies Reisen, freie Kommunikation, freies Wirtschaften sind völlig unmöglich geworden.
(Kleine Eigenwerbung: Mein Buch „Ein Volk verschwindet - wie wir China beim Völkermord an den Uiguren zusehen“ erscheint im Januar im Aufbau-Verlag.


Digitale Kommunikation, digitales Geld, Gesichtserkennungs-Software, und die zentrale Speicherung von biometrischen Daten, ermöglichen völlig neue Arten der Kontrolle. Und sie finden schleichend Einsatz. Die digitale Dystopie Chinas erscheint uns weit weg, denn in Westeuropa im allgemeinen, und in Deutschland im Besonderen, haben wir ein relativ hohes Vertrauen in Staat und Regierung. Die nun fast 30 Jahre andauernde „Friedensdividende“, die nach dem friedlichen Zusammenbruch des Ostblocks begann, brachte uns eine ungeahnt lange Periode mit stetig wachsenden Bruttosozialprodukt und wenig gesellschaftlichen Spannungen.
Mitten in dieser “goldenen Periode”, und zwar im Jahr 1997, erschien ein Buch, welches aus heutiger Sicht prophetische Aussagen für die gegenwärtigen Entwicklungen getroffen hat.
„The Sovereign Individual“ ist in bestimmten (Crypto-)Kreisen ein Standardwerk - es changiert irgendwo zwischen techno-libertären Anarchismus und sozialhistorischer Studie. Der Silicon-Valley-Milliardär Peter Thiel bezeichnete es als „das wichtigste Buch seines Lebens“, und hat das Vorwort der aktuellen Ausgabe verfasst. Ebenso wie „The Fourth Turning“ wurde es in den Neunzigern von zwei Autoren verfasst und prophezeit auf wirklich erstaunliche Weise Entwicklungen der Gegenwart. Beide Bücher aber sind keine futuristische Esoterik-Werke, sondern wissenschaftlich saubere Arbeit. Beide erzeugen aufgrund ihrer verblüffend zutreffenden Prognosen 25 Jahre später Gänsehaut beim Lesen.
Zum Beispiel das Aufkommen von sich immer weiter zersplitternden Partikular-Interessen:
"(…) the rise of nationalist, ethnic and regionalist sentiment, whether it be Maori, Scottish, Welsh or from anti-immigrant factions, who even as their governments push them towards new, borderless horizons, pull themselves ever so hard the opposite way.” However you choose to look at them, whether as major “trends” or “psychological themes,” it is clear that a strong reactionary sentiment in favor of nationalism and against the fall of borders and the deepening of markets is gathering its voice worldwide.“
Oder das Entstehen von Filter-Blasen, in denen Information immer selektiver wahrgenommen wird:
“The very glut of information now available puts a premium on brevity. Brevity leads to abbreviation. Abbreviation leaves out what is unfamiliar.”
Die Autoren beschreiben Geschichte als eine Wechselbeziehung von Staat und Individuum, und gliedern die Geschichte in drei Teile, die jeweils durch technologische Revolutionen eingeleitet wurden. Vor der Erfindung des Ackerbaus lebten Jäger und Sammler in kleinen Gruppen mit sehr flachen Hierarchien. Das ändert sich mit der Erfindung des Ackerbaus. Nahrung kann nun gelagert werden. Es kommt zur Arbeitsteilung und so etwas wie Profit. Die Gesellschaft wird nun hierarchisch, da kleine, bewaffnete Gruppen das erwirtschaftete Surplus bewachen und für sich beanspruchen. Als Gegenleistung bieten die Regierenden Schutz vor äußeren Feinden. Diese Form der Gesellschaft besteht in Europa bis ins 15. Jahrhundert, in anderen Teilen der Welt noch wesentlich länger.
Die Erfindung des Buchdrucks bricht im 15. Jahrhundert das Informationsmonopol der Kirche und Aristokratie. Auf einmal kann prinzipiell jeder Informationen en masse verbreiten. Vorher war das nur der Kirche möglich, die es sich leisten konnten, Mönche in Klöstern Bücher abschreiben zu lassen. Nationalstaaten ersetzen zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert die theokratisch-feudalen Gebilde. Zwar erhöht die einsetzende Industrialisierung die Mobilität der Individuen. Die Produktionskapazitäten (Fabriken) aber sind ortsgebunden, und können so kontrolliert und besteuert werden.
Schutz und Sicherheit einerseits, die Androhung von Gewalt bis hin zur Sklaverei andererseits - dies sind die Pole, mit der Institutionen Macht über ihre Bürger ausüben. Wie stark diese Kontrolle ist, richtet sich danach, wie hoch die Kosten für Gewaltanwendung, und -androhung sind.
Das dritte Zeitalter, das der Information, hat mit der Erfindung des Internets in den Neunziger Jahren begonnen. Hier wird das Buch wirklich interessant. Das Individuum kommt zunächst in eine größere Machtposition: Da sich große Teil der Wirtschaft in den digitalen Raum verlagern, hat der Staat darauf keinen Zugriff mehr - spätestens dann, wenn auch das Geld virtuell geworden ist:
"As cybercommerce begins, it will lead inevitably to cybermoney. This new form of money will reset the odds, reducing the capacity of the world’s nation-states to determine who becomes a Sovereign Individual. A crucial part of this change will come about because of the effect of information technology in liberating the holders of wealth from expropriation through inflation. Soon, you will pay for almost any transaction over the Net or World Wide Web at the same time you place it, using cybercash."
Alte Besteuerungsmechanismen versagen. Die Autoren prophezeien deswegen in der Folge einerseits einen Wettbewerb der Staaten um Bürger: Das ortsunabhängige Individuum kann sich den für sich besten Staat wählen. Eine neue Klasse hochautonomer und unabhängiger Menschen entstehe:
"In the next century we shall witness the creation of a world superclass, perhaps of 500 million very rich people, with 100 million being rich enough to emerge as Sovereign Individuals."
Andererseits werden Regierungen die weniger mobilen und „ertragreichen“ Bürger härter besteuern, um die Verluste die durch den Wegzug „souveräner Individuen“ entstanden sind, zu kompensieren. Die Zurückgebliebenen müssen das durch immer höhere direkte Steuern, versteckte Steuern durch Inflation und das Schließen von Schlupflöchern ausbaden.
Geld, Inflation und Bitcoin
Steuereinnahmen fehlen, die Zentralbanken verlieren ihre Unabhängigkeit und drucken Geld - was den Regierungen kurzfristig mehr Gestaltungsspielraum gibt.
Das aber beschleunigt den Wertverfall des Geldes. Die Verschuldung nimmt immer weiter zu, was wiederum den Trend hin zu billigen Geld beschleunigt. Zinserhöhungen nämlich gefährden heute - anders als in den 1970ern - die Stabilität des Systems. Staatliche inflationäre Währungen konkurrieren jetzt mit nichtstaatlichen, hartem Geld im Digitalen:
„Friedrich von Hayek argued in 1976 that the use of competitive, private currencies would eradicate inflation. Without legal-tender requirements forcing acceptance of an inflating currency within a jurisdiction, Hayek argued, market competition would force the private issuers of currency to preserve the value of their exchange media. Any issuer of a private currency failing to maintain its value would soon lose its customers. The evolution of encrypted cybercash will bring Hayek’s logic vividly to life.”
Nie hätte Bitcoin innerhalb von zehn Jahren diesen unglaublichen Wertzuwachs erfahren können, hätten die Zentralbanken die Kaufkraft von Euro und US-Dollar in dieser Zeit stabil gehalten.


Das Vorwort zur aktuellen Ausgabe hat Silicon-Valley-Milliardär und Paypal-Gründer Peter Thiel geschrieben. Weil so viele Vorhersagen des Werkes so verblüffend exakt eingetroffen sind, konzentriert sich Thiel darin auf die Prophezeiungen, die sich nicht erfüllt haben: Stadtstaaten wie Hongkong und Singapur sahen die Autoren als Modelle der Zukunft. Sie werben mit niedrigen Steuern und anderen Vergünstigungen um neue Bürger. Nun ist Hongkong aber im vergangenen Jahr vom Regime in Peking einkassiert worden. Überhaupt haben die Autoren zwar sehr korrekt den Niedergang und die Probleme westlicher Nationalstaaten skizziert, nicht aber den Aufstieg der kommunistischen Partei Chinas. Thiel mutmaßt in seinem im Januar 2020 verfassten Vorwort, die Entwicklungen der vergangenen 25 Jahre lesen sich, als habe die KP die Analysen der Autoren detailliert studiert.
Unangenehm aber wird der Überlebenskampf der Nationalstaaten in ihrer alten Form, die jetzt immer hilfloser und deswegen autoritärer auf die Entwicklungen reagieren. Zu Hilfe kommt ihnen „Artificial Intelligence“. In der Folge ergibt sich Wechselspiel zwischen Kryptographie auf der einen, und künstlicher Intelligenz auf der anderen Seite. In seinem Vorwort aus dem Jahr 2020 schreibt Peter Thiel:
"It is no coincidence that AI is the favorite technology of the Communist Party of China. Strong cryptography, at the other pole, holds out the prospect of a decentralized and individualized world. If AI is communist, crypto is libertarian. The future"
Außerhalb libertärer Kreise, die in nahezu jeder Gesellschaft nie mehr als fünf Prozent ausmachen, ist das eine unpopuläre Sichtweise. Gerade während der Corona-Pandemie aber hat sie an Bedeutung gewonnen.
Denn wir alle - Befürworter oder Kritiker der Maßnahmen, Gegner oder Fans einer Impfpflicht - müssen uns dieselbe Frage stellen: Verzichten Entscheider, die sich an Machtbefugnisse gewöhnt haben, auf diese nach Ende der Notlage wieder? Wie stellen wir sicher, dass wir unsere Freiheiten nur temporär, und nicht dauerhaft aufgegeben haben?
Erfahrungsgemäß wird Macht nämlich nur sehr selten freiwillig zurückgegeben. Nur zwei Herrscher der an Königen und Kaisern ziemlich reichen abendländischen Geschichte gaben freiwillig Macht ab: Der römische Kaiser Diocletian im 3. Jahrhundert und der spanische Kaiser Karl V. im 16. Jahrhundert. (Der vielleicht größte Vorteil der Staatsform Demokratie ist natürlich, dass Macht in jeder Wahlperiode neu verhandelt wird. Trotzdem entstehen auch hier Eliten, Kasten und Klüngel).


Der Blick der Autoren von “The Sovereign Individual”, Rees-Mogg und Davidson, ist ein kalter, technischer und amoralischer Blick auf Geschichte und Gegenwart. Die nächsten Jahre, prophezeiten die Autoren 1996, werden unangenehm, weil staatliche Strukturen Kontrollverlust befürchten und neue Instrumente der digitalen Überwachung nutzen können und werden.
Aber es gibt eben auch Hoffnung. Die vielleicht folgenschwerste, und noch immer unterschätzte Entwicklung, ist die von neuem Geld, das sich staatlichem Zugriff entzieht. Wie im 16. Jahrhundert die Innovation des Buchdrucks das Informationsmonopol der Kirche brach und zum ersten Mal ketzerische Gedanken aufkamen, die die Trennung von Staat und Kirche forderten, so ist Bitcoin der Versuch der Trennung von Staat und Geldmonopol.
Während sich staatliche Macht - und damit deren potenzieller Missbrauch -, angetrieben durch technologische Innovationen auf immer mehr Bereiche unseres Lebens ausdehnt, beginnt sein elementarer Teil unseres Leben sich genau diesem Zugriff zu entziehen. Mit Bitcoin ist ein dezentrales Netzwerk entstanden, das sich jeder zentralen Kontrolle entzieht. Und mit jedem Tag, an dem diese Struktur überlebt und wächst, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es überlebt.
Bitcoin dreht sich nicht (nur) um ein paar libertäre Crypto-Bros mit Lasereyes, die schnell reich werden wollen. Es geht um die tausenden Flüchtlinge, die derzeit versuchen, über die polnische Grenze in die EU zu gelangen. Es geht um die unterdrückte Minderheiten. Es geht um den eingangs zitierten Edward Snowden, Julian Assange. Es geht um jeden, der sich vor autoritär-totalitären Regierungen oder auch nur miserabler Notenbank-Politik schützen will. Bitcoin ist nicht perfekt, aber…
Bitcoin ist Hoffnung.
Ein schönes Wochenende!
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