Bitcoin in Schwellenländern
Am Währungsverfall der türkischen Lira lässt sich gerade gut beobachten, was vielen Ländern in kommenden Jahren droht, und welche Rolle Bitcoin dabei spielen wird.
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Bitcoin: 59928$
Ich bin seit ein paar Tagen in Istanbul, wo ich zwischen 2016 und 2019 als Korrespondent für die WirtschaftsWoche gelebt habe.
Als Ausländer ist das Leben gerade relativ angenehm, die Restaurants haben bis 19 Uhr geöffnet, Touristen sind von der Ausgangssperre am Wochenende ausgenommen, und es ist billig, weil die Lira mal wieder auf ein Rekordtief gefallen ist. Letzteres ist für die meisten Bewohner des Landes natürlich eine tragische Entwicklung. Die Preise auch für einfache Lebensmittel steigen, Unternehmen schließen, die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Die Krise ist zum Teil hausgemacht und sie zeigt relativ klassisch, was in Ländern geschieht, wenn die Inflation steigt:
Die Problematik begann ungefähr um das Jahr 2016. Damals bekam man für einen Euro noch 2,5 Lira, heute sind es 9,5 Lira. Terroranschläge und der Putschversuch verunsicherten internationale Investoren. Kurze Zeit später stiegen in den USA die Zinsen. Das bedeutete: Viele Anleger zogen ihr Kapital aus Schwellenländern wie der Türkei ab und investierten es wieder in sichere amerikanische Staatsanleihen.
Wenn Euro und Dollar aus einem Land abfließen, sinkt die Nachfrage nach türkischer Lira. In der Folge fällt die Währung. 2017 bekam man für einen Euro rund fünf Lira. Für alle Ausländer im Land, die in Euro oder Dollar bezahlt wurden, und für Türken, die ein Devisen-Einkommen hatten, war das gut: Meine Miete verbilligte sich um fast 50 Prozent.
Was genau aber ist der Zusammenhang zwischen fallender Währung und Inflation? Die Türkei importiert wesentlich mehr Güter, als sie exportiert. Angenommen ein türkisches Schiffbau-Unternehmen führt aus Deutschland Motoren ein: Sinkt die Lira im Wert zum Euro, muss das türkische Unternehmen mehr Lira für die Motoren bezahlen. Importe werden also teurer. Diese Preissteigerungen werden nach und nach an alle Wirtschaftsbereiche weitergegeben, bis sie bei den Tomatenpreisen und den Endkonsumenten angekommen sind. (Wobei auch der Dünger für türkische Tomaten importiert werden muss).
2018 lag die Inflation in der Türkei bei rund 18 Prozent, sie fiel dann etwas, und liegt derzeit wieder bei rund 15 Prozent.
Andersherum gesagt: Wäre eine Volkswirtschaft völlig autark und von globalen Handelsströmen abgekappt, kann die Währung dieses Landes theoretisch ins Bodenlose fallen - die Preise im Land würden trotzdem stabil bleiben. (Natürlich ist in der heutigen Welt kein Land autark, allerdings arbeitet China derzeit mit Hochdruck daran, den Binnenkonsum vom internationalen Handelsströmen abzukoppeln).
Was aber kann ein Land tun, um den Prozess aufzuhalten? Die klassische Antwort lautet: Die Zinsen anheben. Hätte die türkische Zentralbank 2016/17 die Zinsen kräftig erhöht, wäre das ausländische Kapital nicht so schnell oder gar nicht abgeflossen. Das Problem aber war und ist: Höhere Zinsen führen zu weniger Wirtschaftswachstum. (Kredite werden teurer, Unternehmen investieren weniger). Und genau das will Erdogan nicht in Kauf nehmen. Stattdessen feuerte er den Zentralbankchef.


Das Vorgehen zeigt auch, wie wichtig die Unabhängigkeit einer Zentralbank ist. Sie muss in solchen Situationen unpopuläre Entscheidungen treffen, um eine Abwärtsspirale zu verhindern. Die zuständigen Politiker tendieren immer dazu, das Wirtschaftswachstum (und damit niedrigere Zinsen) als das höhere Gut anzusehen, um die nächsten Wahlen zu gewinnen.
Mittlerweile ist das Kind in den Brunnen gefallen. Die Lira fällt, aber eine Zinserhöhung bringt die durch die Pandemie geschädigte Wirtschaft in noch größere Probleme. Die Folge wären höhere Arbeitslosigkeit und soziale Unruhen. Um den Währungsverlust aufzuhalten, fordert Erdogan jetzt seine Bürger auf, Gold und Devisen in Lira umzutauschen. Nicht unwahrscheinlich, dass bald auch ein Ausfuhrverbot bzw. Kapitalverkehrskontrollen folgen.

Man muss schon ziemlich doof oder ziemlich patriotisch oder beides gleichzeitig sein, um der Aufforderung nachzukommen. Helfen könnten jetzt nur noch massive Investitionen aus dem Ausland - aber wer will schon während einer Pandemie in ein politisch semi-stabiles Land investieren?
Die Türkei hat übrigens immer wieder Phasen der Hyperinflation erlebt. Die letzte war Ende der Neunziger Jahre. Sie brachte unter anderen den jetzigen Präsidenten Erdogan ins Amt. Viele Türken sind deswegen relativ resilient und geübt darin, ihr Geld in Sicherheit zu bringen. Dass aber jetzt 20 Prozent aller Türken Bitcoin kauften, wie eine Umfrage vor ein paar Jahren behauptete, hat sich mittlerweile als Gerücht herausgestellt.
The report highlights that out of 6,253 respondents only 44 traded cryptocurrency in some form. In other words, only 0.7% of Turks have ever bought or traded cryptocurrencies.
New Data Debunks Reports of Turkey as Leader in Crypto Adoption
In der Türkei dominieren (noch) Gold und Devisen, um sich gegen Inflation und Währungsverfall zu schützen. Darüber hab ich vor ein paar Tagen mit BTC-Verstehen gesprochen, den ich auch sonst sehr empfehlen kann:


Ich vermute, dass die türkische Problematik in den kommenden Monaten um sich greifen wird. Gerade Schwellenländer sind besonders abhängig vom Zustrom von ausländischen Kapital. Argentinien, Brasilien und Thailand sind ebensolche Kandidaten. Davon hört man zur Zeit wenig, weil Korrespondenten nicht reisen können und Corona die Schlagzeilen dominiert. Kollege Mathias Peer, Korrespondent in Bangkok, hat ein paar interessante Tweets, die zeigen, wie sich das Straßenbild in Thailand durch die Corona-Krise gewandelt hat:




Fast ein Fünftel der Wirtschaftsleistung Thailands kommt aus dem Tourismus, hängt also daran, dass Ausländer in das Land kommen und dort ihre Euro und Dollars ausgeben.
Übrigens ist das auch ein Grund, warum sich die USA nahezu unbegrenzt verschulden können: Alle Länder dieser Welt brauchen ständig mehr Dollar.


Das Inflations-Narrativ, wonach Bitcoin immer weiter steigen muss, weil mehr Geld gedruckt wird, ist nicht falsch. Es ist nur etwas komplexer, als es oft dargestellt wird. Die Lösung ist wahrscheinlich auch nicht so einfach, wie manche Bitcoin-Maximalisten und Vertreter der Österreichischen Schule sich das vorstellen. Oft stehen globale Finanz- und Handelsströme am Anfang einer Geldentwertung. Schwellenländern bleibt nicht viel anderes übrig, als darauf zu reagieren.

Das vielleicht beste Beispiel, was geschieht, wenn sich ein Land nicht über Geldentwertung aus der Krise befreien kann, ist Griechenland. Weil die griechische Zentralbank wegen des Euro eben nicht mehr unabhängig war, ließ sich die Griechenlandkrise 2010 nur über extreme Sparmaßnahmen bekämpfen. Der Euro und Wolfgang Schäuble haben auf Athen wie ein Gold-Standard gewirkt. Hat das funktioniert? Darüber kann man lange streiten: Die griechische Staatsverschuldung liegt heute kaum niedriger als vor der Krise. Das Wirtschaftswachstum dümpelt vor sich hin. Die Sparmaßnahmen trafen viele griechische Bürger hart. Immerhin hat man viele Ungerechtigkeiten der griechischen Gesellschaft in Form von Korruption, zu hohen Renten und Steuerhinterziehung beseitigt.
Ich halte es für wahrscheinlich, dass Bitcoin als ultraharte Währung in den kommenden Jahren eine Revolution im Finanzsystem auslöst, und viele der aktuellen Missstände beseitigt.


Dass damit aber alle Probleme unseres Zeitalters gelöst sein werden, glaube ich nicht. Es gibt halt neue dann.
Schönes Wochenende!
PS:
Warum nicht den Rainbow-Chart verdoppeln?


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