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Besuch der alten Dame

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Besuch der alten Dame

Eine Parabel auf den Tether-FUD, das derzeit größte Risiko für das Krypto-Universum.

BlingBling
Jun 25, 2021
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Bitcoin: 34414$

Willkommen zur 28. Ausgabe von BlingBling!

Das Leben an der Costa del Crypto war kein schlechtes: Es gab wirklich gute Surfboards, die ein Mann namens McNamoto in Handarbeit herstellte. Die Surfboards im Dorf waren begehrt, weil immer mehr Bewohner ihre Leidenschaft für den Sport entdeckten. McNamoto verkaufte seine Unikate für 100 Euro das Stück. Eines Tages aber tauchte eine alte Dame an der Costa del Crypto auf. Sie erzählte McNamoto und den anderen Dorfbewohnern, dass sie sehr reiche Leute in der Stadt kenne, und die wollten unbedingt eines dieser großartigen Surfboards haben. Der Einfachheit halber aber würden sie lieber mit T-Euros bezahlen anstatt mit Euro. Die könne sie nämlich selbst drucken. Das sei aber überhaupt kein Problem, erklärte die alte Dame: Denn sie bürge dafür, dass hinter jedem T-Euro auch ein Euro stehe. Man könne die auch jederzeit bei ihr umtauschen. 

„Warum nicht?“, dachte sich McNamoto. „Wenn ein Euro gleich ein Teuro ist, kann ich meine Boards auch mit Teuros bezahlen lassen.“

„Großartig, dann bin ich bald zurück!“, sagte die alte Dame.

Einige Tage später tauchte sie wieder an der Costa del Crypto auf. Mit dabei hatte sie 5000 Teuro. Sie wolle dafür so viele Surfboards wie möglich haben, sagte sie. McNamoto erwiderte, mehr als eines im Monat könne er beim besten Willen nicht herstellen. Deswegen stieg der Preis eines Surfboards auf 500 Euro. Die Dorfbewohner freuten sich: Wow, mein Surfboard hat sich im Wert verfünffacht! Manche sagten: Warte nur ab, die alte Dame kommt bestimmt wieder mit noch mehr Teuros. 

Und tatsächlich, so geschah es: Einige Wochen später tauchte die alte Dame wieder im Dorf auf - dieses Mal mit 50000 Teuro. Die Surfboards seien so begehrt, sagte sie, da wo sie herkomme, wolle jeder eines. McNamoto sagte nur: Ich schaffe wirklich nur eines im Monat, sorry! Aber ein paar Dorfbewohner begannen ebenfalls Surfbretter herzustellen - es waren schlechte Kopien, aber die alte Dame kaufte ja alles.

Manchen BlingBling-Lesern mag es jetzt schon dämmern, für was diese Parabel steht. Es geht um Tether und viel FUD (Fear, Uncertainty & Doubt). Tether gehört zur Gruppe der sogenannten Stablecoins. Das sind Coins, die eins zu eins mit einer Fiat-Währung, meist dem US-Dollar gedeckt sind. Das Kürzel des Tether-Stablecoins lautet deswegen USDT, und 1 USD ist immer 1 USDT wert. Ein Stablecoin schwankt nicht im Kurs, weil die Firma, die ihn ausgibt, ihn eins zu eins deckt. Tether sagt: Wenn uns ein Kunde 100 US-Dollar gibt, drucken wir 100 USDT. Verkauft er 50 USDT, geben wir ihm wieder 50 USD. Um Tether gibt es immer wieder Gerüchte, und sollten sich diese bewahrheiten, haben sie das Potenzial, eine neue Finanzkrise auszulösen. 

Wofür bracht man Tether?

96% der BlingBling-Leser haben Tether-Coins noch nie genutzt. Wozu auch? Wer Bitcoin kaufen will, überweist Euro oder Dollar an eine Börse.

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Philipp 🌋🌋🌋Mattheis @PhilippMattheis
Und noch eine Umfrage hinterher: Hältst Du selbst gerade oder in der Vergangenheit Tether?
7:18 AM ∙ Jun 23, 2021
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Es gibt aber einige Usecases für Stablecoins - vor allem sehr große Markteilnehmer nutzen sie: USDT sind sehr leicht von einer Börse zu einer anderen zu bewegen. Manchmal gibt es Kursunterschiede zwischen Bitcoin in verschiedenen Ländern. Wenn zum Beispiel BTC in Südkorea gerade teurer ist als in den USA, kann man diese in Sekunden mit USDT in den USA kaufen und in Südkorea wieder verkaufen,. Das nennt man Arbitrage. Bei viele Börsen im Krypto-Universum kann man auch gar keine Euro oder US-Dollar mehr einzahlen. Banken lehnen solche Überweisungen ab. Auch hier wird Tether genutzt. Außerdem sind USDT gut für Trader, die schnelle Rein-Raus-Spiele spielen wollen.

Möglich, dass das Handelsvolumen von Tether deswegen mittlerweile so gewaltige Dimensionen angenommen hat. Es ist nämlich wirklich sehr hoch:

Die Grafik zeigt das Handelsvolumen vom Mittwoch. Man sieht, dass das Volumen von Tether fast so hoch ist wie von Ethereum und Bitcoin zusammen.

Schauen wir, wie die Geschichte an der Costa del Crypto weitergeht.

Jahre vergingen und alle waren ziemlich guter Stimmung. Die McNamoto-Boards stiegen im Kurs und immer mehr Menschen begannen zu surfen. Bald kursierten an der Costa del Crypto viel mehr Teuro als Euro. Ein Surfboard kostete jetzt 50000 Euro. Oder Teuro? War doch egal.

Jeder wurde reich und surfte den ganzen Tag. Nur El Sceptico nervte manchmal seine Nachbarn. Er fragte dann: “Die alte Dame bezahlt doch nicht mit Euro, sondern mit Teuro - was ist, wenn sie gar nicht so viele Euro hat?”

Die Dorfbewohner, deren Surfbretter so im Wert gestiegen waren, reagierten verärgert: “Sei kein Spielverderber! Wenn die Alte sagt, dass sie Euros hat, wird es schon stimmen. Wir vertrauen ihr! Oder bist Du am Ende einer von denen, die auf der Finca del Fiat leben?”

Die Finca del Fiat war ein Dorf im Landesinneren. Dort lebten Nichtschwimmer, die die Leute vom Strand nicht leiden konnten. „Surfen ist gefährlich!“, sagten die immer. „Surfboards müssen verboten werden!“

Als El Sceptico die alte Dame mal direkt darauf ansprach, wand sie sich und sagte:

“Wer bin ich denn, dass ich Dir meinen Kontostand zeige? Das geht Dich gar nichts an.”

Dann warf sie ein paar Euro in die Menge und rief: “Schaut, hier habt ihr Nervensägen ein paar Euros als Beweis. Und jetzt lasst mich schön weiter Teuros verteilen.”

Die Dorfbewohner waren zufrieden und hatten eh schon genug Stress mit den Nachbarn von Fiat-Finca: “Wir Surfer müssen doch zusammenhalten, also lasst die Alte Dame in Ruhe”, dachten die meisten.

Der skeptische Dorfbewohner wollte sich zwar den Schuh nicht anziehen, ein Nichtschwimmer zu sein, schwieg aber erstmal. Und eigentlich gab es ja auch kein Problem: Teuros wurden akzeptiert genauso wie Euros. Immer mehr Leute surften, deswegen stiegen Surfboards im Wert. Was konnte schon passieren?

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Tether behauptet, genau so viele Dollar zu besitzen, wie die Firma USDT-Coins ausgegeben hat, also rund 60 Milliarden US-Dollar. Ihre Kunden hätten die USDT in Bitcoin investiert und deswegen sei eben der Kurs gestiegen. Die Gerüchte, wonach das nicht stimmt, kursieren seit Jahren und tauchen immer wieder mal auf. Fakt ist: Eigentlich müsste ein Unternehmen, das 60 Milliarden verwaltet, sich einer Wirtschaftsprüfung unterziehen. Da Tether aber seinen Sitz in Hongkong (oder auf den Virgin Islands - nicht mal das ist klar) hat und die Hausbank auf den Bahamas ist, scheint es ein solches Verfahren umgehen zu können. In den USA ist Tether deswegen übrigens illegal.

Im März 2019 versicherte ein Anwalt, ein USDT sei mit 0,74$ in Cash-Reserven gedeckt, der Rest mit anderen Anlagen. Hm. Im April dieses Jahres veröffentlichte Tether folgende Aufstellung:

Commercial Papers machen rund die Hälfte von Tether’s Reserven aus. Was zum Teufel aber sind Commercial Papers? Laut Investopedia handelt es sich um “(…) unsecured, short-term debt instrument issued by corporations”

Die Financial Times schreibt am 10. Juni: 

Disclosures from cryptocurrency provider Tether suggest it has become one of the world’s largest investors in the US commercial paper market, rubbing shoulders with the likes of fund managers Vanguard and BlackRock and dwarfing the investments of tech giants like Google and Apple, according to estimates from JPMorgan.

Für ein Unternehmen, das derzeit 60 Milliarden US-Dollar schwer ist, bleiben aber zu viele Fragen offen. Überhaupt gibt es viele Unklarheiten, was Tether betrifft. Hier eine Zusammenfassung der Ereignisse seit der Gründung 2014 in Hongkong.

Schauen wir, wie die Geschichte weitergehen könnte. Ab jetzt verlassen wir die Gegenwart und es gibt mehrere mögliche Versionen, wie sie sich entwickelt.

Version 1: Niemand fragt mehr nach. Surfboards von McNamoto steigen auf 500000 US-Dollar. Alle haben Spaß.

Version 2: Der skeptische Dorfbewohner lässt nicht locker. Zusammen mit Beamten von der Finca del Fiat durchsuchen sie das Haus der alten Dame. Und siehe da: Tatsächlich hat die alte Dame genauso viele Euros wie Teuros. El Sceptico steht zwar jetzt etwas blöd da, aber im Endeffekt freuen sich alle. „Endlich ist der FUD von der Finca del Fiat vorbei!“ Es gibt eine Riesenparty. Surfen wird jetzt Weltsport. 

Version 3: Als El Skeptico im Haus der alten Dame auftaucht, ist niemand dort. Als er die Hütte durchsucht, findet er: Nix. Es war alles eine Lüge: die Nachfrage aus der Stadt nach Surfboards von McNamoto hatte es nie gegeben. Im Dorf bricht jetzt Panik aus: Jeder versucht jetzt noch schnell seine Teuros loszuwerden. Die Pyramide bricht zusammen. Am Ende ist ein Surfboard wieder 100 Euro wert. McNamoto stellt noch immer eines im Monat her. 

In der realen Welt könnte das Szenario 3 folgendermaßen aussehen: Mitte Juli 2021 rutscht der Kurs von Bitcoin unter 20000 US-Dollar. Im Markt bricht Panik aus. Jeder will jetzt so schnell wie möglich zurück in Fiat. Die Leute, die ihre Milliarden vorher in USDT geparkt hatten, um schnell wieder einsteigen zu können, wollen jetzt Dollar und Euro haben. Börsen wie Binance kommen nicht mehr hinterher USDT in USD umzuwechseln. Tether taucht ab und ist nicht mehr erreichbar. Binance und andere Börsen kollabieren. Der Kurs von Bitcoin fällt innerhalb weniger Tage auf 2000 US-Dollar.

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Philipp 🌋🌋🌋Mattheis @PhilippMattheis
#Bitcoin-Bubble-Umfrage: Was haltet ihr vom #Tether-FUD?
8:22 PM ∙ Jun 22, 2021
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Was also stimmt?

Die Gerüchte um Tether sind zum jetzigen Zeitpunkt mehr als nur FUD, sondern ein reales Risiko und zwar so lange, wie Tether seine Finanzen nicht unabhängig prüfen lässt. Das Unternehmen bestreitet zwar die Gerüchte, legt aber trotzdem keine ausreichenden Beweise vor. Dass es anders geht, zeigt zum Beispiel USDC - ein Stablecoin der Börse Coinbase, dessen Deckung als in den USA ansässiges Unternehmen dokumentiert ist.

Das Argument: “Wo ist das Problem? Tether muss überhaupt nicht gedeckt sein, so lange die Leute genug Vertrauen haben” ist dasselbe, das Bitcoiner sonst gegen das Fiat-System vorbringen. Don’t trust, verify.

Tether widerspricht dem ursprünglichen Gedanken von Bitcoin. Es ist, als schalte man eine zentralisierte Bank vor Bitcoin und der vertraut man dann blind. Tether betreibt womöglich “Fractional Reserve Banking”, ohne das auch so zu nennen.

Vor allem sollte man Kritik an Tether nicht mit Kritik an Bitcoin verwechseln. Im Gegenteil: Kritik an Tether hilft, das System stabiler zu machen.

Denn Tether ist derzeit das größte Risiko - nicht für das Projekt Bitcoin wohlgemerkt, aber für den Kurs. Sollte Tether und damit einige Kryptobörsen in die Luft fliegen, bedeutet das nicht das Ende von Bitcoin. Der Kurs würde sich wahrscheinlich irgendwo im vierstelligen Bereich fangen - an der Grundidee und -funktion hätte sich nichts geändert. Aber viel Vertrauen wäre verspielt, und das wohl auf Jahre. 

Was also kann ich tun?

1) Keine Tether kaufen

2) Sich von Börsen fern halten, die USDT handeln

3) Den Tether-Kurs beobachten. Hält der USD-USDT-Peg von 1:1 nicht mehr, wäre das ein Signal für: The shit hits the fan.

4) Als Bitcoin-Fans einer dezentralen, nicht-inflationären Idee sollten wir alle drängendere Fragen stellen und Aufklärung von Tether verlangen. 

Um ein letztes Mal an die Costa del Crypto zurückzukehren - hier Version 4:

Die Dorfbewohner hören einfach auf T-Euros zu benutzen. Nach und nach hören immer mehr von ihnen auf, die Scheine der alten Dame zu akzeptieren. Irgendwann verschwindet sie.

Ein schönes Wochenende!

PS: Wer sich selbst ein detailliertes Bild machen möchte, für den sind hier zwei der Texte, die ich zur Recherche gelesen habe. Einer Pro, der andere Contra:

Tether: Fiktion und Fakten

The Big Short: Inside Crypto’s Doomsday Machine

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